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"Die Diva hat es geschafft"

■ Die Soultunte Melitta Sundström ist tot. Ein Nachruf von ihren Freunden.

Am 8.September ist Melitta Sundström, Deutschlands einzige Soultunte der Welt, ins Licht gegangen. Sie stand kurz vor der Erfüllung ihres Lebenstraumes: Der Sprung in die Cross-over Charts des Bill Board.

Schon sehr früh stellte sie die Weichen für ihre künstlerische Entwicklung: Sie erblickte am 31.Oktober 1963 das Licht der Welt in der Wiege der abendländischen Kleinkultur – Bad Kreuznach, die Kur-Oase des Südens. Um der solegeschwängerten Atmosphäre der Pfalz zu entfliehen, flüchtete sie mit vierzehn Jahren in die sexuell progressiven Shows der Indianerkommune Nürnberg.

Der nächste Schritt war der Kontakt zur schwulen Theatergruppe „Rosa Lüste“ in Wiesbaden. Hier spielte sie sich über die Besetzungscouch des im süddeutschen Raum bis heute noch bekannten Schwulengurus Joachim Schönert – häßlich, aufdringlich, aber mit Ausstrahlung (30 cm) – bald in den Vordergrund.

So gerüstet lernte sie ihren ersten Lebensabschnittsbegleiter Hermann kennen, der in Bad Kreuznach, der Salzperle des Südens, den ersten Bioladen und Szenetreffpunkt „Huflattich“ führte. Dort trat die Bad Kreuznacher Fabrikantentochter Else Lemke, bis dato Frauenheld der Stadt, in Melittas Leben. Gemeinsam gründeten sie in Monzingen als Trutzburg im Provinzmief die schwul-lesbische Kommune „Zum Glück geht's dem Sommer entgegen“.

In der Ferne lockte der Mythos Berlin, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Melitta und Else der Verlockung erlagen. Auf der Suche nach einem Broterwerb verdingte sich Melitta S. als Barjunge im Café Graefe, wo sie auf Melitta P. traf, die sie in den Sumpf der Hinterzimmer-Travestie zog. Es entstand eine Sanges-Seelen-Verbindung, die zur Samenzelle der sogenannten Neuen Berliner Tuntenbewegung wurde. In der Kulttruppe „Die Bermudaas“ fand sie eine künstlerische Heimstatt, ein Experimentierfeld für ihre exorbitanten musikalischen und darstellerischen Talente.

Von nun an gab's kein Halten mehr. Wo anderen DamendarstellerInnen der schöne Schein genügte, feilte sie an musikalischen Arrangements, die Normalsterblichen bisher verschlossen waren. Auch ihre literarisch-satirischen Qualitäten brachen sich Bahn, sowohl in eigenen Liedtexten als auch in Kolumnen schwuler Monatsblätter, die Themen wie „Zwiebelbrüste“ oder „Fönfrisuren“ kritisch beleuchteten. Nach der Auflösung des Tuntenensembles „Ladies Neid“ stand die musikalische Säule allein da, was ihr die Freiheit gab, ihre Solokarriere ins Auge zu fassen.

Während ihr erstes Programm „Mein Kampf – Krämpfe einer Damendarstellerin“ noch viele Trash- Elemente der Hinterhof-Travestie enthielt, hat sie diese im Folgeprogramm „Ein Leben im Liegen“ für ein breiteres, auch nichtschwules Publikum aufgearbeitet. Ob BKA, Filmdose Köln, Kammerspiele Mainz, überall vermochte sie auch derb-heterosexuelles Publikum zu überzeugen, ohne sich anzubiedern oder ihre tunten-politischen Wurzeln zu verleugnen.

Mit ihren Themen machte sich Melitta zur Anwältin pickelübersäter Hauttypen, esoterikgeplagter Sekretärinnen und hauptstadtgeschädigter Berliner, prangerte trend-eifernde Schwule ebenso an wie rechtsradikale Dummköpfe und kurzsichtige Politiker. Im Zeitalter von Aids, Drogen, Hautunreinheiten und Gewalt führte sie mit einem Augenzwinkern ihr Publikum wieder auf den rechten (linken!) Weg.

Die Soultunte wurde ihr Markenzeichen und charakterisiert vortrefflich ihre Vorliebe für schwarze Musik von Motown bis Manuela, gepaart mit dem typischen Tunten-Humor, wie es ihn so seit den achziger Jahren nur in Berlin gibt. Mit dem gleichen Humor verarbeitete sie ihr eigenes Positiv- Sein und schließlich ihre Erkrankung.

Das heimtückische Virus hat sie uns viel zu früh genommen. Else, Püppi, Melitta P.,

Mignon und Chou-Chou.

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