Am Rande des Wahnsinns überall

■ Veranstaltungen und Konzerte gegen rechts in Berlin und in fünf Städten im Umland / DerJugendsenat hält diese Reihe für nicht förderungswürdig / Am Samstag Veranstaltung in Luckenwalde

Luckenwalde, 50 Kilometer südlich von Berlin, unterscheidet sich kaum von anderen brandenburgischen Kleinstädten. Auch nicht im Freizeitangebot für Jugendliche. Zwei Discos gibt es, ein Kino und den KLAB (Klub am Bahnhof). Träger ist seit einem Jahr die SPD-Jugendorganisation „Die Falken“. Viele Aktivitäten laufen dort aber auch nicht – einmal in der Woche gibt es einen Discoabend, ab und zu werden Töpferkurse angeboten. „Richtig flach ist das Angebot“, findet der 21jährige Matthias Krist*, der häufig im KLAB ist. Und: In der Hausmeisterwohnung des ehemaligen Pionierhauses haben sich seit einiger Zeit rechte Jugendliche eingenistet, so erzählt er, die von organisierten Nazikadern angeleitet würden. So wurde eine Mahntafel zerschlagen, die an den Folterkeller aus Nazi-Zeiten erinnert. „Die Falken sollen endlich mal vernünftige Jugendarbeit machen“, fordert Matthias Krist. „Die kümmert das hier überhaupt nicht.“ – Deshalb hat Matthias Krist mit anderen Jugendlichen die Initiative selbst in die Hand genommen. Am Samstag findet unter dem Motto „Am Rande des Wahnsinns“ im KLAB eine Veranstaltung über Nazistrukturen in Brandenburg statt, außerdem spricht Olgen Herrmann-Friede, der sich während des Zweiten Weltkrieges in Luckenwalde vor den Nazis verstecken mußte. Anschließend spielen Sokrates, Steady State Theory und die Berliner Band Ultimate Warning.

Luckenwalde ist nur eine Station der durch Brandenburg und Berlin wandernden Veranstaltungs- und Konzertreihe. Potsdam, Bernau und Ketzin standen ebenfalls auf dem Programm, nächstes Wochenende sind Berlin und Eberswalde an der Reihe. „Wir wollen mit ,Am Rande des Wahnsinns‘ eine Gegenkultur zum braunen Sumpf schaffen, den Nazis die Straße nehmen“, sagt Veranstalterin Claudia Striedel aus Berlin. So gab es beispielsweise in Bernau vor zwei Wochen ein gutbesuchtes Straßenfest mit anschließendem Konzert, bei dem verschiedene Bernauer Jugendgruppen, aber auch Flüchtlinge aus den vier AsylbewerberInnenheimen ihre Stände aufbauten. Die Veranstaltung soll aber keine Eintagsfliege bleiben: Das Bernauer „Jugendbüro“ plant im nächsten Jahr ein antirassistisches Jugendcamp, außerdem soll ein Antifa-Café mit Filmen und Diskussionsveranstaltungen entstehen.

Für die VeranstalterInnen, die zusammen mit den Jugendlichen aus den einzelnen brandenburgischen Kleinstädten „Am Randes des Wahnsinns“ vorbereitet haben, ist es wichtig, „nicht eine SozialarbeiterInnenfunktion“ zu übernehmen. Ziel sei es, bessere Kontakte und einen regelmäßigen Austausch zwischen den Jugendlichen in einzelnen Städten und Berlin herzustellen. „Auf den Veranstaltungen wollen wir auch MitläuferInnen der Nazis oder die vermeintlich neutralen Jugendlichen ansprechen“, beschreibt Claudia Striedel das Konzept.

Finanziert wird die Reihe durch freie Träger wie zum Beispiel Netzwerk und Brandung e.V. Außerdem haben die Berliner Asten 6.000 Mark zugeschossen. Vom Jugendsenator Krüger (SPD) hat „Am Rande des Wahnsinns“ dagegen eine eindeutige Abfuhr bekommen: „Wir haben aus dem 300-Millionen-Topf ,Jugend mit Zukunft‘ Gelder beantragt“, sagt Claudia Striedel. Für Pressesprecher Thorsten Schilling ist das Konzept aber nicht förderungswürdig – weil nicht langfristig genug. Außerdem würde nur eine Veranstaltung in Berlin – ein Konzert am 17.9. in der alten TU- Mensa mit den amerikanischen Bands Slapshot und Sick of it all sowie der Berliner Band Fleischmann – stattfinden, die müsse sich selbst tragen. Und: „Der Jugendsenat kann keine Projekte in Brandenburg fördern, das wäre Rechtsbruch.“ Tatsächlich war aber noch mehr Programm in Berlin geplant: „Eine Veranstaltung in Hohenschönhausen und in Schlachtensee mit Fotoausstellung und Nachbereitung muß aus finanziellen Gründen ausfallen“, beklagt sich Claudia Striedel. Die Absage des Jugendsenators, der auf wiederholte schriftliche und telefonische Anfragen nur mit einem lapidaren Formbrief geantwortet hat, ist für sie eine Ungeheuerlichkeit: „Thomas Krüger ist unsere Art von Arbeit ein Dorn im Auge, weil wir denen politisch zu motiviert sind.“ Die Veranstalterin wirft dem Jugendsenat vor, mit seiner Politik rechte Jugendliche indirekt und direkt zu unterstützen und ernsthafte Ansätze, sich gegen Rechts zu engagieren, nicht zu unterstützen. Claudia Striedel: „Die Jugendpolitik des Senators ist nur heiße Luft!“ jul

*Namen von der Red. geändert