: Holzschieber im Savoy-Theater
■ Wie die „Times“ versucht, ihre Schach-WM Kasparow–Short zu vermarkten
London (taz) – Seit Montag kostet die Times statt 45 Pence nur noch 30 Pence. „Ein kleiner Preis für eine große Tageszeitung“, wie das Murdoch-Imperium sein Aushängeschild anpreist, oder eine Kriegserklärung, wie die Herausgeber des Independent, für den nach wie vor 45 Pence hingelegt werden müssen, meinen? Am Rande des Kasparow-Short-Duells sieht man es eher als eine Art Kompensation für die Leser, die nun Ausgabe für Ausgabe zwei Seiten Schach verdauen müssen.
Um die Tagesration redaktioneller Werbung für das teuer eingekaufte Match um den Titel eines „Times-Schachweltmeisters“ zu bewältigen, haben die Redakteure der früheren Qualitätszeitung sogar ihre Nachrichtenwerte überdacht. Die Lieblingsschokoladen der beiden Großmeister füllten bereits den zweiten Artikel, und jenseits der Schokoladenseite des Schachlebens spielen auch die Politkommentatoren fast nur noch mit hölzernen Wortfiguren.
Lange genug haben sich die mindestens 45 Pfund teuren Tickets wie Sauerbier verkauft. Drei Wochen vor dem Match wurde beschlossen, die beiden „Woodpusher“ nicht vor leeren Rängen antreten zu lassen. Für unvorstellbar günstige 20 Pfund war das Londoner „Savoy Theatre“ zum Auftakt angeblich ausverkauft, aber nie ganz gefüllt. Käufer der Murdoch- Boulevardblätter News of the World und The Sun fanden zu Wochenbeginn sogar Gutscheine, die ihnen Tickets für 10 Pfund garantierten.
Times-Leser müssen zwar den vollen Eintrittspreis berappen, sind dafür aber am „Checkmate“- Gewinnspiel beteiligt. Stehen die Figuren in der täglichen Schachaufgabe auf den Feldern, die auf der persönlichen Gewinnkarte angegeben sind: Bingo und tausend Pfund auf die Hand. Und dabei ist garantiert: „Sie müssen nicht einmal wissen, wie die Figuren ziehen.“
Berührungsängste sind auch für die beiden Hauptdarsteller nicht mehr drin. Wurden Titelverteidiger und Herausforderer bei früheren Weltmeisterschaften vor den Journalisten abgeschirmt, ist Short und Kasparow kaum noch ein Schritt ohne ein „Channel 4“-Kamerateam erlaubt. Der Murdoch- Sender buchte 60 Stunden von der „Times-WM“ und will die Aufnahmerechte zudem in einem Spielfilm verwerten.
„Predictamove“ heißt eine weitere schachrevolutionäre Entwicklung der Murdoch-Marketing- Strategen. Mit Telefonimpulsen sollen Fanatiker in aller Welt die Züge der Meister voraustippen. Aus Deutschland kostet das nur 1,50 DM pro Minute. Die besten Prognostiker gewinnen kleine Geldpreise, Hauptpreis ist eine Partie gegen den „Times-Weltmeister“ persönlich.
Der heißt für alle Experten Garri Kasparow. Zwei Partien sind gespielt, die erste hat der haushohe Favorit mit etwas Glück gewonnen. Short überschritt die Bedenkzeit, nachdem Kasparow ebenfalls in Zeitnot seine Gewinnchancen ausgelassen hatte. Im zweiten Match war es der Mann aus Moskau, der um das Remis kämpfen mußte. Die 24 Partien sollen aber in jedem Fall gespielt werden, auch wenn King Garri die 12,5 Gewinnpunkte nach nicht unrealistischen 19 Partien gesammelt hat. Doch wer zahlt dann noch für Eintrittskarten, Predictamove und Übertragungsrechte? Seit Wochen kursiert daher das Gerücht, Kasparow werde den Engländer mit Samthandschuhen anfassen, um keinen zu hohen Sieg und damit den Mißerfolg der Veranstaltung zu riskieren.
Auch Anatoli Karpow, der in der offiziellen WM-Konkurrenz gegen den Niederländer Jan Timman Favorit ist, wird vorläufige Zurückhaltung angedichtet. Bisher hat die Konspirationstheorie wenig Nahrung erhalten. Zwischen Timman und Karpow steht es nach einem Remis in der dritten Runde 1,5:1,5. Stefan Löffler
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