Viecher wittern Bachblüten

Immer mehr Heilpraktiker kümmern sich speziell um Patienten mit vier Beinen  ■ Von Kirsten Niemann

Haben Sie einen Vogel? Oder Ihr Hund, vielleicht aber auch Ihre Katze? Dann kennen Sie auch das Dilemma, wenn Sie mit ihrem Liebling zum Tierarzt müssen? Völlig hilflos müssen Sie mit ansehen, wie Ihr ansonsten eher rauflustiger Terrier im Wartezimmer zu einem schlotternden Häufchen Elend verkommt oder ihre Katze sich beim bloßen Anblick des Transportkorbes für Stunden unterm Bett verkriecht. Für Tiere mit ausgeprägten Veterinärphobien gibt es jedoch eine Alternative: den Tierheilpraktiker.

Mittlerweile besteht ein reger werdendes Interesse an alternativen Tierheilverfahren, wie der Akupunktur, Magnetfeldtherapie oder auch der seit etwa 170 Jahren erprobten Homöopathie. Die Berufsbezeichnung „Tierheilpraktiker“ ist nicht geschützt. Das heißt, jeder, der sich zum heilen berufen fühlt, darf sich so nennen, wenn er nur ausdrücklich vermerkt, daß er keine staatlich anerkannte Prüfung absolviert hat. Die Berliner Tierheilpraktikerin Barbara Winckel hat ihr Wissen jedoch, ob nun staatlich anerkannt oder nicht, in einer zweijährigen Ausbildung an einer „Schule für Tierheilpraktiker“ in Gelsenkirchen erworben. Sie behandelt alles, von der Schildkröte bis zum Reitpferd, ausschließlich auf Naturheilbasis. Wohl wissend, daß der Gemütszustand der Tiere sich außerordentlich auf die gesundheitliche Konstitution und die Heilungschancen auswirkt, hat sie ihr homöopathisches Programm durch ein weiteres Element bereichert: die Bachblütentherapie. Mit der Einnahme gewisser Blüten (selbstverständlich nach fachgerechter Aufbereitung) kann diesen Irrtümern, wie Barbara Winckel die Gemütsmißstände bezeichnet, entgegengewirkt werden: „Das Tier muß sein seelisches Gleichgewicht, seine Mitte finden, erst dann kann ihm geholfen werden.“ So verabreicht sie zum Beispiel einem Dackel, der auf den neugeborenen Familienzuwachs seines Frauchens aggressiv reagiert, ein Bachblütenmittel gegen den mißlichen Zustand der Eifersucht (bei Menschen sollen die Bachblüten im übrigen ebenfalls wirken), das in Fachkreisen unter dem Namen „Holli“ bekannt ist. Einer Katze, die aus übertriebener Ängstlichkeit sich nicht nur bei Fremden, sondern sogar bei ihren Besitzern regelrecht festzubeißen pflegte, verhalf sie mit einer Mischung aus Mitteln, die ihr Selbstbewußtsein stärkten, gegen Schock und gegen überspannte Reaktionen zu einem friedfertigen Dasein.

Sowohl die Heilung körperlicher Malaisen durch Homöopathie als auch die seelische Behandlung mit Bachblüten fußt auf genauer Diagnose und Beobachtung der Vierbeiner. „Es ist wie Detektivarbeit“, beschreibt Frau Winckel ihren Job, der sehr zeitaufwendig ist. Als Broterwerb ist ihre Tätigkeit, wie fast alle ihrer Kollegen bestätigen können, völlig ungeeignet. Sie behandelt die Viecher zum Selbstkostenpreis, ein Stundenlohn wird in der Regel nicht verlangt. Vielmehr sieht sie, die vor der Sprechstunde noch einen bürgerlichen Beruf ausübt, das Heilen von Tieren als eine Form der Selbstverwirklichung und „Berufung“. „Es ist das teuerste Hobby, das ich pflege“, bekennt die Tierheilpraktikerin.

Was in Ländern wie England und den USA schon seit über 20 Jahren praktiziert wird, steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen: Die „Verhaltenskunde“, vom Volksmund gerne als „Tierpsychologie“ bezeichnet, wurde zwar vereinzelt schon im Nutztierbereich und bei Labortieren angewandt, nicht aber bei unseren Haustieren. Eine seriöse veterinärfachspezifische Ausbildung gibt es zu dem Gebiet noch nicht. Selbst die Pflichtseminare der Universitäten in „Verhaltenskunde“ verbreiten noch eher dürftige Weisheiten. Daß aber durchaus Handlungsbedarf besteht, zeigt das erschreckende Ergebnis einer in den USA herausgegebenen Studie, das sich sicherlich auch auf unsere Situation übertragen läßt: Jede fünfte Einschläferung eines Haustieres erfolgt demnach aus Verhaltensgründen. Dies bewog die Berliner Tierärztin Christiane Quandt schließlich dazu, die Veterinärmedizin an den Nagel zu hängen und ausschließlich als Verhaltenstherapeutin von Hunden und Katzen zu arbeiten. „Aufgrund seiner Domestizierung hat der Hund ein unglaublich breites Spektrum an Anpassungsmöglichkeiten. Da er auf seine Umwelt sehr empfindlich reagiert, auch auf von den Besitzern unbewußt eingesetzte Signale, kann es zu unglaublich vielen Verhaltensstörungen kommen“, so Christiane Quandt. Sie behauptet sogar, daß ein völlig unkompliziertes Verhältnis zwischen den Haltern und dem Hund eher dem Zufall als einer gezielt gelungenen Erziehung zu verdanken ist.

Die Mehrzahl ihrer Patienten sind Tiere, die sich aggressiv verhalten. Neben einer nicht artgerechten Tierhaltung sind meist Dominanzprobleme und Mißverständnisse, die aus der „Vermenschlichung“ des Tieres seitens der Halter resultieren, die Hauptursache für das Fehlverhalten.

Um ihren Patienten und den Haltern helfen zu können, lädt die Tier-Verhaltenstherapeutin die Vierbeiner nicht etwa auf ihre Couch ein, sondern erkundet die konkreten Lebensbedingungen der Tiere. Das ist absolut notwendig, da ein Tier ausschließlich auf seine Umwelt reagiert. „Willst du das Vieh ändern, mußt du auch die Umwelt ändern“, so lautet die Devise. Bei einem etwa zweistündigen Hausbesuch versucht die Therapeutin die Ursachen für die Macken herauszufinden. Mit einem gezielt entwickelten Lernprogramm müssen die Halter das Tier umerziehen. Der Preis einer Therapiestunde ist dabei in etwa vergleichbar mit einer Mechanikerstunde in der Autowerkstatt.