Die Ozonglocke hängt über der Stadt

Ein Gutachten des Öko-Instituts belegt: Sommersmog entsteht vor allem in der Stadt / Gegenargumente der Umweltverwaltung nicht mehr haltbar / Ozonalarm ist präzise voraussagbar  ■ Von Dirk Wildt

Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) hatte im vergangenen Jahr mit seinem heißen Sommer an immerhin 31 Tagen eine schlechte Nachricht für die Berliner: Sommersmog. Das Reizgas Ozon belastete an diesen Tagen die Berliner Luft so stark, daß die Umweltverwaltung „empfindlichen Personen“ raten mußte, „langandauernde Anstrengungen im Freien zu vermeiden“. Ozon, ein Molekül aus drei Atomen Sauerstoff, greift bereits in geringen Konzentrationen die Schleimhäute an und verursacht so Befindlichkeitsstörungen wie Tränenreiz und Reizungen der Atemwege. Je nach Dauer der Ozonbelastung können noch unterhalb des Sommersmog-Grenzwerts von 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft die Funktion der Lunge beeinträchtigt werden und sich das Lungengewebe entzünden. Ab 200 Mikrogramm können Kopfschmerzen und Atembeschwerden auftreten, ab 240 Mikrogramm leidet die physische Leistungsfähigkeit und nehmen Asthmaanfälle zu.

Die Empfehlung des Umweltsenators war in doppelter Hinsicht eine schlechte Nachricht. Zum einen hieß Hassemers Ratschlag an jenen 31 Tagen nichts anderes als „Atmet weniger“. Zum anderen aber schien die Umweltverwaltung gegenüber dem Sommersmog machtlos zu sein – im Gegensatz zum Wintersmog, während dem der Auto- und LKW-Verkehr und auch der Betrieb von Kraftwerken eingeschränkt werden. Sie schien machtlos zu sein – denn ein von der Fraktion Bündnis 90/Grüne in Auftrag gegebenes Gutachten gibt Grund zum Aufatmen (die taz berichtete), das wir deshalb ausführlich vorstellen.

Ozonreservoir bildet sich bis in 3.000 Meter Höhe

Entgegen der Behauptung der Umweltverwaltung, daß gegen den Ozonnebel Verkehrseinschränkungen nicht helfen würden, kam das beauftragte Freiburger Öko- Institut zu einem anderen Schluß. Ein erheblicher Anteil des Sommersmogs sei „hausgemacht“: Die durchschnittlichen Werte der Ozon-Tagesbelastung seien um über 30 Prozent, die Spitzenwerte sogar um weit mehr reduzierbar – wenn man nur wolle.

Die Umweltverwaltung hatte bisher immer behauptet und ist auch weiterhin der Meinung, daß Schadstoffe, aus denen sich das Ozon bilde, und Ozon selbst über bis zu mehrere tausend Kilometer lange Wege bis nach Berlin geweht würden. Aber erst hier in Berlin entstehe der wesentliche Teil des Reizgases, indem durch Sonnenschein und Hitze aus Schadstoffen Ozon wird. Wenn eine Minderung der Abgase von Automotoren und aus Industrieschornsteinen also Abhilfe schaffen soll, dann müßten der Verkehr und auch die Produktion weiträumig eingeschränkt werden.

Doch das Öko-Institut ist ganz anderer Auffassung. An heißen Sommertagen würde sich über Berlin bis in eine Höhe von 3.000 Metern regelrecht eine Ozonglocke bilden. Da es an diesen Tagen nahezu windstill sei, könnten weder Schadstoffe noch Ozon von weit her nach Berlin geweht worden sein. Zu einem Großteil bilde sich aus Stickoxiden (NOx) und flüchtigen Kohlenwasserstoffen (VOC) mit Hilfe von Wärme und dem ultravioletten Anteil des Sonnenlichts (UV-Strahlung) das Ozon unmittelbar am Boden. Die Schadstoffe stammen zu etwa zwei Drittel vom Autoverkehr. Vom Boden aus verteile sich das giftige Gas in die Weite und steige in die Höhe. Die in den Nachmittagsstunden üblicherweise verstärkt eintretende Ozonproduktion liefere so viel Ozon nach, daß sich die Gesamtmenge „um einige hundert Meter nach oben ausdehnt“.

Gesamtbild einer starken städtischen Ozonquelle

Erst nachts werde das Ozon zerstört – aber nur in Bodennähe, weil nur dort die für den schnellen Abbau des dreiatomigen Sauerstoffs nötigen Schadstoffe vorhanden seien. Wenn nicht genügend Wind vorhanden sei, bleibe das Ozon über Berlins Dächern vorhanden und bilde ein Ozonreservoir, das weiter bis zu drei Kilometer Höhe aufgefüllt werde, sofern an den darauffolgenden Tagen erneut die Sonne scheine und kaum Wind wehe. Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, daß in der Höhe sehr viel stärkere Konzentrationen als in Bodennähe gemessen werden.

Die Ozonglocke wachse mit solch einer Regelmäßigkeit, daß sogar Prognosen über die Ozon- Entwicklung möglich seien. In dem Gutachten berichtet das Öko-Institut, daß die Stadt Los Angeles seit mehr als 30 Jahren die Qualität der Luft (auch für Ozon) vorhersage. Diese Vorhersage werde um 11 Uhr erstellt und sei für den folgenden Tag gültig. Die Prognose sei so zuverlässig wie die Wettervorhersage.

Das Öko-Institut beruft sich bei seinen Aussagen auf Messungen mit Flugzeugen sowie Fesselballons der Landesanstalt für Umweltschutz in Baden-Württemberg und verschiedene wissenschaftliche Arbeiten. Auch die Auswertung der an den Meßstellen des Berliner Luftgütemeßnetzes (BLUME) ermittelten Ozon-Spitzenkonzentrationen „ergibt das Gesamtbild einer sehr starken städtischen Ozonquelle“, heißt es in dem etwa 70seitigen Gutachten. Allerdings seien für diese Aussage die „punktuellen Messungen des BLUME allein nicht tauglich“. Sieben der acht Meßpunkte befinden sich unmittelbar in Bodennähe. An verkehrsreichen Straßen aber werde das Ozon wegen der ständig vom Verkehr nachgelieferten Schadstoffe stärker abgebaut als anderswo.