Kalter Entzug -betr.: "Schmutzkampagne beenden", taz vom 28.8.1993

“Schmutzkampagne beenden“, 27. 8. 1993

Hier geht es um politische Positionen. Wenn deutsche Politik Kinderprostitution nicht als Folgeerscheinung der Illegalisierung von Drogen begreift, dann muß eben behauptet werden, „Kinder kommen erst durch den Treff im Projekt 'Kids' mit Prostitution in Berührung“. So ausgerüstet, ist bestimmten Journalisten jedes Mittel Recht, wobei uns Bezahlung für Auskünfte unter diesen Kindern nicht irritiert.

Gewünschte Auskünfte jedoch mit hohen Geldbeträgen zu „ersteigern“ unter Mißachtung der Sensibilität des Themas, ist für uns nichts anderes als Kindesmißbrauch und verachtenswert.

Von einer Politik, die den Handel mit Drogen unterstützt, weil sie sich nicht zu einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes entschließen kann, haben wir kaum mehr anderes erwartet, als repressive Strategien weiter zu verfolgen mit dem Ziel: akzeptierende Drogen- oder Sozialarbeit gleich im Keim zu ersticken. Die Kids vom Hamburger Hauptbahnhof brauchen einen Halt ganz besonderer Art, der nicht verbietet, sondern erst einmal akzeptiert! Nur so ist es möglich, Zugang zu schaffen, zu den Seelen der Kinder, die kaum noch einem Erwachsenen trauen.

Auf ganz besonders tragische Weise davon betroffen sind die Kids, die durch Drogenprostitution ihre Sucht finanzieren müssen, weil

a) die Berührung mit der Prostitution eine Folge der Illegalität der Droge ist,

b) diese Kinder und Jugendlichen nicht zum Diebstahl fähig sind oder in der Lage, selber mit Drogen zu handeln.

Wer kümmert sich um die Kinder, von denen ein Großteil schon weiß, wie sich ein kalter Entzug ohne Medikamente anfühlt? Wo sind die Eltern, wo Angehörige und Freunde? Und wenn die nicht da sind, was tut Politik, um diese Kids aufzufangen? Akzeptierende Sozialarbeiter am Hamburger Hauptbahnhof sind richtig am Platz!

Jan Ehlers legen wir ans Herz, sich noch rechtzeitig vor den Wahlen ein vollständiges Bild von der Gesamtbreite dieses Mißstandes zu machen, wo humane Drogenpolitik längst umsetzbar wäre, um dann darüber nachdenken zu können, wie sich Politik an den rund 70 Prozent der rund 240 Kinder vergeht, die das „Kids“ betreut. Das muß nicht vor einem Mikrophon sein, und nicht zu Lasten homosexueller Männer, denn auch hier sind es die gesetzlichen Regelungen, die diesen Markt mit Angebot und Nachfrage überhaupt schafften, in einem fortschrittlichen Staat undenkbar.

Mit freundlichem Gruß in der Hoffnung, daß diese Schmutzkampagne ein Ende findet, im Auftrag der Eltern- und Angehörigeninitiative für akzeptierende Drogenarbeit e.V., von Eltern und Angehörigen verstorbener Drogenabhängiger e.V. Hamburg und des Eltern- und Angehörigenkreises Drogenabhängiger e.V. Stormarn/Schleswig-Holstein

Ursula Doris Warmbrunn