Wenn Worte zu Brandsätzen werden

■ Journalisten diskutierten Mitverantwortung an Terror und Wahlerfolg der „Neuen Rechten“

Welche Mitschuld tragen die Medien an der deutschen Normalität, in der kein Tag ohne rassistischen Terror vergeht, daran, daß rechtsradikale Parteien kommunalen Parlamente stürmen? Wie können die Zeitungen, Zeitschriften und Sender dazu beitragen, den „Neuen Rechten“ den Boden in der Gesellschaft zu entziehen? Fragen, die im Vordergrund einer Vortragsveranstaltung der IG Medien mit prominenten Vertretern der journalistischen Zunft am Mittwochabend im Unihauptgebäude standen. Ihr Titel: „Aus Schlagworten wurden Brandsätze“.

Die Palette der journalistischen Fehlleistungen im Umgang mit den „Neuen Rechten“ ist breit gefächert. „Die Medien haben sich in der Asyldebatte zum Stichwortempfänger der Politik machen lassen“, klagte der Hamburger Autor Jürgen Bischoff. Sie beginnt beim gedankenlosen Umgang mit Worten und Fakten. Bischoff: „Niemand zwingt uns, Worte wie Überfremdung oder Asylantenflut in den allgemeinen Sprachgebrauch einzuführen und bei jedem Handtaschenraub die ethnische Zugehörigkeit des Täters gleich mitzuliefern.“

Die „ethnischen Kennzeichnungen von Beschuldigten“ in den Medien beklagte auch der Vorsitzende des Zentralrates deutscher Sinti und Roma, Romani Rose: „Jeder Einzelne hat für seine Taten einzustehen, nicht die ethnische Gruppe, zu der er gehört.“ Der Deutsche Presserat lehne es aber ab, entsprechende Richtlinien zu verabschieden. Der ARD-Journalist Klaus Bednarz kritisierte „Reportagen aus Hoyerswerda, die an Sportberichterstattung erinnnern, und klägliche Versuche sich selbst überschätzender Showmaster, ausgebufften Rechten Polit-Profis Paroli zu bieten“, als „Fehlleistungen des Mediums, die erklärbar aber nicht entschuldbar sind.“ Viel schlimmer aber sei es, daß rassistische Überzeugungstäter sich selbst in den Flaggschiffen des seriösen Journalismus ausbreiten könnten, da sich selbst in Kommentaren der FAZ Sätze finden wie der, daß türkische Zuwanderer „zumindest einen der Westberliner Stadtbezirke zu einer türkischen Großstadt werden lassen, die für Deutsche praktisch unbewohnbar geworden ist.“ Da zudem selbst eine „noch so kritische Berichterstattung über die Neuen Rechten Nachahmungstäter aktiviert und Gedankengut, das es zu bekämpfen gilt, erst verbreitet“, sei die Frage „versenden oder verschweigen aktueller denn je“.

Michael Jürgs, Chefredakteur von „Tempo“ machte sich für ein „Kartell des Schweigens“ stark. Er regte an, „daß weder Parteitage noch Parteiprogramme der Rechten in den Medien beachtet werden.“ Jürgs: „Die Rechte hat durch die dauernde Berichterstattung über sie erst an Reiz und Faszination gewonnen und den demokratischen Anstrich gewonnen, Teil des normalen Lebens zu sein.“

Das Kartell des Schweigens müsse aber ergänzt werden, und zwar durch einen Kampagnenjournalismus für die doppelte Staatsbürgerschaft.

Marco Carini