Man sieht nirgendwo und überall alles

■ „Die Krönung der Poppea“ an der Hochschule für Künste: Ein Herbstakademieprojekt und ein Hauptprobenerlebnisbericht

Selten war Oper so greifbar weit weg. „Ich bin dafür, daß wir so nah rangehen, daß es scheitern kann“, sagt HfK-Chef Jürgen Waller. Er spricht vom neuen „Wort und Szene“-Projekt im Hause, das alljährlich die StudentInnen der Bildenden Kunst und der Akademie für Alte Musik zusammenbringt. Genauer gesagt, die KursteilnehmerInnen der Herbstakademie. Noch präziser: ein Ensemble, das auf Originalinstrumenten des 17. Jahrhunderts musiziert, geladene SängerInnen und eine Handvoll StudentInnen der Malerei. Ihr Projektobjekt: Claudio Monteverdis Die Krönung der Poppea von 1642.

Künstlerischer Leiter Jürgen Waller dazu: „Eigentlich hasse ich Oper.“ Und wenn auch nicht alle so widerspenstig weit gehen wollen, scheinen sie sich doch einig, daß sie ein Experiment erproben wollen. Eine Mischung aus musikalisch Authentischem und szenisch Verfremdetem. Eine Oper zum Anfassen, Stehen und Erlaufen, mit Selbstbeteiligung und doppeltem Boden.

Wir ZuschauerInnen stecken in steifen Togen aus Leinen und mimen römisches Volk auf einer Piazza. Soeben ist Ottone von einer Reise heimgekehrt und findet Kaiser Nerones Wachen vor dem Haus der eigenen Gattin Poppea. Ottone schließt auf ein Verhältnis und erzürnt. Unser Lageplan läßt uns nach links auf Ottones kleine ein-auf-zwei- Meter-Bühne blicken und verrät darüber hinaus, wohin wir uns sonst noch wenden können. Entweder dem Geschehen zu oder gänzlich ab.

Bewegungsfreiheit ersetzt das Opernglas

Das Opernglas wird ersetzt durch Bewegungsfreiheit. Theoretisch kann man permanent durch den Raum streifen und verliert nie den Handlungsstrang: Monitore offenbaren uns via „zweiter Wirklichkeit“ das Drama. Wer darin eintauchen will, muß (noch) faszinierbare FernseherIn sein, denn die sonst malenden StudentInnen haben sich an das ganz andere Bühnenbild gewagt. Die Ruinen von Ostia antica und Villa Adriana sind als Videoeinstellungen auf Bildschirmen zu sehen. Wie Philosoph Seneca, der von seiner Bühne aus mit Nerone in der anderen Ecke des Raumes in die Linse streitet. Wer von der Bühne wegläuft, sieht Poppea und Nerone in der gelbstichigen Aufnahme vor dem Bogengang wie ein Paar im Sonnenlicht.

Inmitten plätschert es von einem hohen Stahlgerüst, dem Orchestergraben. Zwölf Wasser- Bilder formen auf Video Skulptur. Ein Brunnen vielleicht, oder das Meer der Piccicati? Es ist wie ein Spaziergang durch den Park und ein bißchen, als guckten wir diesmal hinter der Kulisse vor. Die Dame der Technik thront wie eine D.J. in der Ecke. Und selbst während der Aufführung hat noch ein Römer die Kamera am Laufen, so daß wir uns gar selbst aus den Augenwinkeln beobachten können.

Monteverdis Figuren lassen sich davon nicht beirren. Sie rezitieren ihre Originaltexte (die Poppea nach ungehemmten Eifersuchtsintrigen doch noch zur Krönung führen) auf ihren Holzböden zwischen den Bildschirmsäulen und stören sich wenig an müden ZuschauerInnen, die sich auf einer gerade freien Bühne kurz ausruhen. „Das ist bizarr, aber für mich nicht außergewöhnlich.“ Regisseurin Eleonora Fuser aus Venedig zieht ihre Erfahrung mit derlei Experimenten aus der comedia dell'arte. Auch sie ist während des Stückes auf der Piazza unterwegs und gespannt, was bei den nächsten Aufführungen passieren wird. Silvia Plahl

„Die Krönung der Poppea“, 17.-20.9. jeweils 20 Uhr, Galerie der Hochschule für Künste, Dechanatstr. 13-15. Karten über Tel. 3295221