Der Trend geht zum Kaltblüter

■ Die 1.000 Kilo schweren Tiere halten als Zugtiere von Müllwagen wieder Einzug in die Großstadt / Nur Berlin ist außen vor / Erste "Zugpferd International" - Ausstellung am Wochenende im Kreis Nauen

Zu schön, um wahr zu sein: Statt des lauten Müll-Lasters klappert ein Zweispänner mit Kaltblütern die Berliner Hinterhöfe ab, um den stinkenden Inhalt der Tonnen abzutransportieren. Das ist nicht nur umweltschonender, sondern auch viel freundlicher. Im Nu laufen die Kinder zusammen und tätscheln den großen Rössern schüchtern das Fell, und selbst die gehetzten Erwachsenen bleiben neugierig stehen.

Doch in Berlin regiert nun mal die Autolobby. Gestern allerdings sah man am Brandenburger Tor vier Kaltblüter als „lebendes Gegenstück zur Quadriga“, die eine Kehrmaschine durch den Großstadtverkehr zogen. Auf dem Kutschbock Erich Degreif, ein Alt-68er, der damals in Berlin Philosophie studierte und jetzt in Friedrichshafen am Bodensee mit seinen Kaltblütern im Kommunaldienst arbeitet. Degreif warb mit der Aktion für die an diesem Wochenende erstmals stattfindende „Zugpferd International“. Auf der Ausstellung, die von heute bis Sonntag in Brandenburg stattfindet, sollen die Rassen des gesamten Zugpferdespektrums in verschiedenen Schaunummern und Anspannungen vorgestellt werden. Sogar aus England, Frankreich und Skandinavien sind die Pferdehalter angereist.

In Berlin dürfen bislang nur in den Forsten 14 Kaltblüter den Karren aus dem Dreck ziehen. Anders in Düsseldorf und Heidelberg, wo in den verkehrsberuhigten Innenstädten so mancher Müllwagen schon wieder von Pferden angeführt wird. Seit Beginn der achtziger Jahre geht der Trend wieder zum Arbeitspferd. Gerade für den „Stop and go“-Einsatz wie Müllabholen, Postausfahren oder Straßenkehren in der Stadt und natürlich erst recht in der Land- und Forstwirtschaft seien die Kaltblüter wie geschaffen, schwärmte Erich Degreif, stolzer Besitzer von acht Kaltblütern, gestern gegenüber der taz.

Das von den Pferden gezogene Gerät wie Bürsten, Karren, Müllcontainer und ähnliches sei ohne weiteres auf dem Markt erhältlich. Zudem sei der „moderne Anspänner“ nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch: Schlappe sechs Mark kosten das Futter, Heu und Hafer für ein Pferd pro Tag. Auch die Anschaffungskosten seien im Vergleich zum Auto geradezu lächerlich: 6.000 Mark Neupreis sind für einen Gaul zu zahlen, der immerhin 1.000 Kilo auf die Waage bringt. Im Preis eingeschlossen sind ein starkes – noch dazu großstadtfähiges – Nervenkostüm, viel Kraft und Ausdauer und zudem noch eine gehörige Portion Gelehrigkeit. Plutonia Plarre

Die Ausstellung „Zugpferd International“ ist von heute bis Sonntag von 9 Uhr bis 18 Uhr zu sehen. Am Samstag findet 20 Uhr ein Tanzabend statt. Ort: Märkisches Ausstellungszentrum in Paaren (im Glien), Landkreis Nauen.