Gewinner am Groschengrab

Auch Lokalpolitiker haben ein finanzielles Interesse an vielen Spielautomaten / Die Kontrollen zur Einhaltung der Schutzgesetze sind eher lax  ■ Von Bettina Rühl

Köln (taz) – Weil der Kaffee umsonst zu haben ist, überschreiten viele zum ersten Mal die Schwellen der Spielhöllen, hat Petra Höcher beobachtet. Die Psychoanalytikerin arbeitet seit einigen Jahren am Kölner „Institut für praktische Individualpsychologie“ mit denen, die ihr Glück an den Groschengräbern in Imbißbuden oder Spielhallen verspielt haben.

Aus allen Berufen und Altersklassen kommen die, die mal in zwei, mal in zwanzig Jahren ihre bürgerliche Existenz verspielt haben. Wenn sie Hilfe suchen, sind im Schnitt 46.000 Mark Schulden und Eintragungen ins Strafregister zusammengekommen. 600.000 bis 800.000 Menschen hätten in der Bundesrepublik die Kontrolle über ihren Spieltrieb verloren, schätzt Thomas Lischka, Vorstandsvorsitzender der Kölner „Aktion Glücksspiel e.V.“

Jede Stunde schluckt der Automat das 1,6fache dessen, was ein Facharbeiter in derselben Zeit verdient. Voraussetzung: Der Spieler wirft seine Groschen nur in ein einziges Grab. Das allerdings ist die Ausnahme. An bis zu zwölf Automaten gleichzeitig habe er selber in seiner aktiven Phase gespielt, berichtet Lischka. Selbst „mäßige“ Spieler können so leicht 300 bis 400 Mark pro Woche verlieren. 70 Prozent des Umsatzes, schätzt Lischka, bringen solche exzessiven Spieler den Automatenbetreibern ein. Und die Psychologen der Gegenseite arbeiten daran, daß es mehr wird.

Die „Safari-Jackpots“ (so der Name einer neuen Gerätegeneration) bringen die Spieler schnell auf hundert. Doppeldeutig? Durchaus! ... Die starke psychologische Kraft dieser Jackpots überspielt die kalkulatorisch notwendige niedrige Auszahlungsquote“, wirbt zum Beispiel Ulrich Schulz von Deutschlands zweitgrößtem Automatenhersteller NSM-Löwen in Bingen.

Lambsdorff im Aufsichtsrat

Lischka hat schon mehrfach bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Berlin Beschwerde gegen diese Praxis geführt. Erfolglos. Die Behörde ist zwar für die Zulassung der Geräte zuständig. Kontrolliert wird die PTB aber vom Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP), Parteifreund Otto Graf Lambsdorff ist Aufsichtsratsvorsitzender der NSM-Löwen.

Der Filz zwischen Politik und Automatenwirtschaft ist auch auf der Landesebene dicht. „Wir werden uns unserer Verantwortung nicht entziehen“, verkündete der nordrhein-westfälische Justizminister Rolf Krumsick (SPD) seinen erfreuten Gastgebern. Zu einem „Dämmerschoppen“ hatte der Deutsche Automatenverband (DAV) Landespolitiker der SPD, CDU und FDP im Oktober 1992 in den Düsseldorfer Rheinturm geladen. Gefolgt war der Einladung auch Günter Einert (SPD), Wirtschaftsminister von NRW. Das erklärte Ziel des DAV: „Kurze Dienstwege“ zwischen Politik und Automatenwirtschaft.

Hoch über den Dächern Düsseldorfs ging es um ein ganz konkretes Problem: Seit längerem forderte die Automatenwirtschaft, daß der Mindesteinsatz an den „Groschengräbern“ von 30 auf 40 Pfennig heraufgesetzt wird. Nötig war dafür eine Änderung des entsprechenden Bundesgesetzes. Während des „Dämmerschoppens“ versprach Krumsiek, damals auch amtierender Sozialminister, sich für die Wünsche der Branche stark zu machen. In seinem Wahlkreis Minden-Lübbecke hat Branchenführer Gauselmann (Gerätehersteller und Betreiber zum Beispiel der „Merkur“-Kette) seinen Stammsitz. Kollege Einert zog mit: Der Wirtschaftsminister versprach, die Internationale Automatenmesse im Januar 1993 zu eröffnen – eine bisher einmalige Zusage. Im letzten Moment mußte der Minister absagen, Ministerialdirigent Wolfgang Reichling verlas das vorbereitete Manuskript. Einert versprach darin Unterstützung bei der Anhebung des Höchsteinsatzes und bedauerte, „daß die Spielstätten in der veröffentlichten Meinung nicht den besten Ruf genießen“.

Einert verteidigte seine Parteinahme später mit dem „wirtschaftlichen Potential“ der Branche: fast 60 Prozent aller Spiel- und Warenautomaten kommen aus NRW, fast die Hälfte (27.000) der Beschäftigten haben hier ihren Arbeitsplatz. 1.400 Automatenbetreiber und -aufsteller sind in NRW zu Hause, fast 40.000 Gaststätten und Imbißbuden sichern sich durch die Groschengräber einen wesentlichen Teil ihrer Existenz.

Das wirtschaftliche Potential der Branche

Wenig später passierte das Gesetz den Bundesrat, nach kurzer Zeit waren die auf 40 Pfennig umgestellten Geräte in Spielhallen und Imbißbuden vor Ort. In den Fabriken muß die Serienproduktion angelaufen sein, als formal noch nichts entschieden war – Monate dauert sonst die Produktion und Genehmigung neuer Automaten.

Einträglich ist das einvernehmliche, oft illegale Zusammenspiel für beide Seiten: 174.600 Automaten lockten nach Angabe der IMS- Münzspiel Ende 1992 bundesweit um den leicht verspielten Gewinn. Knapp 3.000 DM spucken die „Daddelautomaten“ durchschnittlich am Monatsende aus. Mit gut 900 Mark Umsatzsteuer pro Gerät ist Bonn am Gewinn beteiligt. 250 Millionen Mark, so läßt sich nur schätzen, spielen die Groschengräber monatlich in Waigels Kasse – etwa 50 Millionen Mark mehr als vor der Erhöhung des Mindestspieleinsatzes.

Ein gutes Stück vom Kuchen fällt auch für die Gemeinden ab. Zwischen 270 und 90 Mark Vergnügungssteuer kassiert zum Beispiel Köln monatlich für jedes der 6.400 Geräte im Stadtgebiet – 200 Millionen Mark, schätzt Einert, nehmen die nordrhein-westfälischen Gemeinden monatlich an Vergnügungssteuer ein, hinzu kommt die Gewerbesteuer.

Mit den Schutzgesetzen wird es deshalb nicht so genau genommen. 95 Prozent aller Spielhallen in NRW entsprechen nicht den gesetzlichen Bestimmungen, fand Lischka in einer empirischen Untersuchung 1990 heraus. 60 Beschwerden reichte er allein beim Regierungspräsidenten von Köln seither ein. Der schaltete zwar das Ordnungsamt ein. „Aber geschehen ist seitdem nichts. Die Kommune sitzt das Problem einfach aus.“ „Diesen Vorwurf muß ich im Prinzip bestreiten“, verteidigt sich Heinrich Brockert, der zuständige Sachbearbeiter im Ordnungsamt. Es gebe allerdings häufiger Streitfälle. Maximal zehn Automaten dürften in einer Spielhalle neuen Rechts stehen, jeder auf einer Grundfläche von 15 Quadratmetern. Nicht mehr als zwei Geräte dürfen es in Hallen alten Rechts sein.

Die Hallen werden häufig nur durch Pappwände getrennt, die Behörden ließen die Spielhallenbetreiber gewähren, sagt Lischka – sogar wenn nach den Kontrollen auch die Pappwände wieder verschwinden. Daß sich die „Razzien“ zu frühzeitig herumsprechen, um effektiv zu sein, weiß man auch im Regierungspräsidium.

Noch. Die Automatengegner haben jetzt offenbar einen neuen Verbündeten gewonnen, den Kölner Regierungspräsident Franz- Josef Antwerpes. Künftig sollen Konzessionen wirklich nur noch vergeben werden, wenn die Spieler nicht mehr an mehr als zwei Automaten gleichzeitig spielen können, alte Betriebe sollen sich diesen Bestimmungen anpassen. Geltendes Recht ist das allerdings bereits seit Januar 1986. Nur gemerkt hat es bei der Konzessionsvergabe wohl keiner.