: Atommüllchaos in Berlin – Gebührenordnung fehlt
■ Berlin muß teures Atommüllager planen, das wahrscheinlich nie in Betrieb geht
Berlin (taz) – Es soll nur an einer fehlenden Gebührenordnung liegen: Berlin muß ein neues Atommüllager für schwach- und mittelradioaktiv verseuchte Abfälle planen und möglicherweise auch mit dessen Bau beginnen, obwohl dieses Lager wahrscheinlich nie in Betrieb geht. Denn eigentlich soll der in Berlin anfallende strahlende Abfall aus etwa 600 Forschungseinrichtungen, Krankenhäusern und Arztpraxen im Atomklo Morsleben (Sachsen- Anhalt) eingelagert werden.
Hintergrund der Posse: Das Land braucht noch in diesem Monat eine verbindliche Zusage, daß Berlin seine Strahlenfässer in die umstrittenen Stollen von Morsleben rollen kann. Andernfalls müßte noch im Oktober mit der Planung eines eigenen neuen Atommüllagers in Berlin begonnen werden. Die eigene Halle müßte nämlich Ende 1994 fertig sein, dann droht die jetzige Landessammelstelle auf dem Gelände des Hahn-Meitner-Instituts in Berlin-Wannsee überzulaufen.
Der ganze Neubau ist eigentlich überflüssig, gibt es nach einem Senatsbericht doch eine Zusage der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH, die Berliner radioaktiven Abfälle in Morsleben einzulagern.
Doch diese Zusage, fanden Bündnis 90/ Die Grünen heraus, gilt nur vorläufig. Dem Abschluß eines verbindlichen Vertrags stünden „finanztechnische Probleme entgegen“, heißt es in dem Bericht des CDU/SPD-Senats, der der taz vorliegt.
Es fehlt schlicht eine Gebührenordnung für den Atommüll. Und die Klärung dieses Problems kann ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen, teilte Bruno Thomauske, Abteilungsleiter der Bundesanstalt für Strahlenschutz (BfS). Not macht erfinderisch: Privatrechtliche Verträge sollen nach dem Willen des Senats diese angeblich weitgehend ausgearbeitete Gebührenordnung vorwegnehmen und Berlin – aber auch den Sammelstellen anderer Bundesländer sowie den Elektrischen Versorgungs-Unternehmen (EVU) – aus der Klemme helfen.
Doch selbst der Abschluß dieser behelfsmäßigen Verträge wird mindestens „wenige Monate“ dauern, schätzt Wolfgang Pellnitz vom Berliner Referat Strahlenschutz. Chaos allenthalben.
Berlins Strahlenschützer fühlen sich für dieses Durcheinander nicht verantwortlich. Durch die nicht vorhersehbare Vereinigung der beiden Stadthälften sei der schwach- und mittelradioaktive Abfall, der in der Landessammelstelle abgegeben werden muß, jährlich auf über 80 Kubikmeter angewachsen. Ohne Vereinigung hätte die Kapazität der Sammelstelle noch für Jahre gereicht, denn durch politischen Druck konnte der radioaktive Abfall in Westberlin von 1980 bis 1989 jährlich von rund 100 Kubikmetern auf 45 Kubikmeter gemindert werden.
Daß nun möglicherweise in Berlin mit dem Bau einer zweiten Lagerhalle begonnen werden muß, weil eine verbindliche Zusage für die Endlagerung in Morsleben einfach zu spät kommt, fällt Strahlenschützer Pellnitz schwer zu glauben. Die Berliner käme die Angelegenheit jedenfalls teuer zu stehen: Die Atommüllhalle kostet vier Millionen Mark. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen