Von Briefen wie Gespenstern

■ Premiere bei Shakespeares: Wie Dagmar Papula Milenas Liebe zu Kafka neu erzählt

„In meinem Umkreis ist es unmöglich, menschlich zu leben,“ schrieb Franz Kafka um 1922 an seine Geliebte Milena Jesenska nach Wien. Und entsprechend unmenschlich handelte er selbst, als ließen sich Erinnerungen und Gefühle verbrennen: Alle Briefe, die Milena ihm während zweier intensiver Freundschaftsjahre geschickt hatte, vernichtete er - weil sie so tiefe Gefühle in ihm ausgelöst hatten. Weil sie ihn aufgeregt und verliebt gemacht hatten. Und albern und weinerlich und ängstlich und stolz. Und weil er trotzdem nicht aus seiner kranken, traurigen Haut gekonnt hatte.

In der Bremer Shakespeare- Company konnte man diesem Mann am Donnerstag abend auf die Finger schauen, als er die Briefe von Milena Jesenska an den „Herrn Franz Kafka“, und später an den „lieben Franz Kapunkt“ oder den „lieben Franz“ in Flammen aufgehen ließ. Allerdings züngelten nur imaginäre Flämmchen, und auch die Schreiben waren nicht echt: Die Briefe von Milena an Franz sind in Wirklichkeit verschwunden. Aber Dagmar Papula hat sie als „Doppelportrait einer Liebe“ neu geschrieben. Ihr Stück „MILENA. WIE ICH DICH FAND IST KEIN WUNDER“ feierte unter der Regie von Pit Holzwarth eine Premiere in schwarz und rot — mit Dagmar Papula selbst in der Rolle von sowohl Kafka als auch Milena.

Da präsentierte sich dunkel und in ganzer Tiefe die Bühne - wie ein Seelenloch, das langsam freundliche Gefühle frißt und nur solche wieder herausgibt, die finster sind, wie das Loch selbst. Nur vorne auf der Bühne strahlte ein schmaler Vorhang wie die samtweiche, tiefrote Leidenschaft, die kurz glühte, als Franz und Milena an ihren einfachen Tischchen saßen und Briefe schrieben oder lasen.

Vier Tage Leidenschaft

So klein war das rote Vorhangsquadrat, wie die Leidenschaft der beiden kurz: Vier Tage verbrachten sie gemeinsam in Wien. Dann trennten sie sich wieder und rangen nur noch schriftlich um die Konditionen ihres Miteinander. Sie auf ihre, er auf seine Art, brachten sie das Publikum dabei zum Lachen: Auch der Künstler ist nur Mann — und was für einer. Eifersüchtig und manchmal wie ein Kind.

Aber solche Einblicke verletzten das Briefgeheimnis nicht. Viel mehr als um historische Einzelheiten geht es in „Milena“ um die Dynamik einer eigensinnigen Beziehung mit eigenartigem Beginn und unabwendbarem Ausgang. Dagmar Papula hat die Persönlichkeiten liebevoll, aber in ironischer Distanz nachgezeichnet. Der Funke ihrer Faszination sprang am Donnerstag auf das Publikum über: getragen von der Lyrik und den Liedern der Milena. Aber auch durch Christopher Brandts Gitarrenkompositionen, die ihnen eine Färbung verliehen, wie die Ein- Frau-Besetzung alleine es kaum geschafft hätte. Da wurde selbst der Kafka manchmal fröhlich.

Das war Milena zu verdanken, jener warmen Gefühlsfrau, die sich auf der Bühne mit dem roten Handschuh mal die Haare raufte, mal träumerisch drin spielte. Und wie gut sich die beiden verstanden haben — sie sahen die Welt in denselben Bildern. Naheliegend, daß Dagmar Papula manches Milena zuschreibt, was heute in Kafkas Briefen nachzulesen ist. Zum Beispiel, wenn sie die Milena Jesenska von „Briefen wie Gespenstern“ erzählen läßt. Und davon, daß Gespenster die geschriebenen Küsse austrinken. Denn wann haben uns jemals geschriebene Küsse wirklich erreicht?

Hinundher gingen Briefe, bis es endlich zum Treffen in Wien kam. Doch das ist nicht Höhepunkt des Stückes, obwohl die Reise Kafkas dorthin unterhaltsam und abwechslungsreich inszeniert wurde und Dagmar Papula das Begehren von Milena und Franz zueinander sehr fein und sinnlich darstellt. Das Treffen ist vielmehr ein Wendepunkt für Stück und Beziehung, von dem ab die Spannung nur noch steigt. Bis zur Trennung — eigenartig, dieser Schwerpunkt auf dem Auseinandergehen, nicht auf der Entwicklung der Liebe.

So kommt es unausweichlich, daß wir Milenas Abgang beklatschen, die sich dem Leben Kafkas nicht unterwerfen will. Dabei kriegt auch der Franz seine gute Portion Applaus — weil er doch mit der Milena in einer Haut steckte und dieses komplementäre Beziehungsspiel vortrug. Obwohl er ihre Briefe da schon verbrannt hatte. Eva Rhode

Nächste Aufführung: Sonntag, 19. September, 18.00 Uhr, Theater am Leibnitzplatz