In Direktkontakt mit dem All

■ Berliner Label, Abteilung Rave und Trance: Space Teddy von Dr. Motte und Uwe Reineke

Die Sonne wagt sich kaum hinter den Dunstschleiern hervor, Pollen wirbeln durch die Luft. An dem schwülen Julinachmittag ist die Atmosphäre über Berlin aufgeladen, das Wetter wie geschaffen für die fünfte Love Parade: Wieder ziehen Tausende den Kurfürstendamm hinab, die Leiber auf den Lastwagen in aufrechter Ekstase zu den Beats, schwitzend, dampfend, trillernd, tanzend und drastisch halb entblößt.

Gespannt harren Passanten der bunten Karawane, beugen sich auf die Straße, um etwas zu erspähen, und sehen zunächst nur einen Mann ganz in Weiß. Dr. Motte, Initiator des Massentanzes, wartet auf den Zug, den er 1988 zusammen mit zweihundert House-Begeisterten ins Rollen gebracht hat und der sich nun mit Getöse aufs Europacenter zubewegt. Sachlich winkt Motte die Nahenden heran und geht dann selbst los. In der Nacht wird er dafür zu sorgen haben, daß die Party im Huxley's reibungslos im „chill out“ endet.

Am Tisch seiner Kreuzberger Stammkneipe, beim Gespräch unter sechs Augen, wirkt Motte weniger konzentriert. Er scheppert mit dem Kaffeelöffel, grinst und hat keine rechte Lust zu erzählen, wann er warum und mit welchen Mitteln sein Label Space Teddy gründete oder wie sich die Arbeit in der kleinen Plattenfirma mit seiner Tätigkeit als DJ und der Organisation der Love Parade verträgt. Also nimmt Uwe Reineke, Mottes Kompagnon, das Heft in die Hand – als Firmenangestellter „Nummer eins A“ ist er sowieso „für Administration und Durchführung“ zuständig. Auf sein Betreiben wird man sich einig, daß der Space Teddy höchst persönlich den Auftrag zur Labelgründung erteilt habe, und zwar aus dem All.

„Er hat uns gefragt“, faßt Motte, Mitarbeiter „Nummer eins Be“, schließlich zusammen. „Wir haben Ja gesagt und stehen dazu.“ Freilich hätte sich der Space-Chef genausogut ein anderes Operationsgebiet aussuchen können, Los Angeles zum Beispiel. Doch ein „fraktales Zufallsergebnis“ führte ihn 1991 nach Berlin, wo er sich seinen Agenten in Gestalt einer Metallplastik zu erkennen gab. Einmeterfünfzig groß, gleicht der Schrottplatzfund einer Eieruhr mit Augen, Ohren und einem dezenten Krönchen obenauf.

Die frisch Geheuerten machten sich zunächst ein klares Bild von ihrem Boß. Der Olympia-Bär war noch nicht geflaggt, da grinste der Teddy schon völlig abgespaced mit Spiralaugen und Hängezunge von den T-Shirts, die in Tresor, Fisch- Labor und Planet naßgeschwitzt wurden, um im folgenden Jahr in orange-blauer Komplementärversion auch auf der Love-Parade zu erscheinen. Nachdem das Logo in den Fachkreisen etabliert war, begann die eigentliche Fabrikation. Mittlerweile liegen fünf Produkte vor: Das letzte, „What does it taste like“, erschien Anfang August und präsentiert unter dem Namen Euphorhythm den Labelbetreiber selbst: Auf der einen Seite zehn Minuten Motte-Trance, auf der anderen eine Viertelstunde percussionlastigen Tribal.

Die Arbeit in der Firma verträgt sich ganz offensichtlich mit Mottes restlichen Tätigkeiten. Schon auf „Open your Mind“ – der Teddy- Premiere, die 1992 als Maxi ganz in schwarzem Cover erschien – ist Motte vertreten: als Gast von 3 Phase, mit denen er im selben Jahr die Techno/Trance-Compilation des Tresors eröffnet hatte (die von dort über den Mute-Vetrieb weltweit verschickt wurde). Ihr gemeinsamer „Klang der Familie“, so wird erzählt, war sogar in den Independant-Stunden einer chilenischen Radiostation zu hören. Auf dem Tresor-Sampler findet sich auch „Open your Mind“ wieder und ist dort gefahrlos abspielbar – anders als auf der Space-Maxi, denn die trägt, aufgepaßt, auf der B-Seite bloß eingekratzte Grüße und Danksagungen an den ganzen, gut vernetzten House-Clan.

Ein Familienprodukt, beispielsweise in Form einer Compilation, sowie die Übernahme von Lizenzen anderer Label sind allerdings auf ferne Zukunft verschoben. Noch featuret Space Teddy vor allem seinen eigenen Agenten. Veinmelters durchscheinend rotes Vinyl ist die einzige Platte, auf der Motte nicht vertreten ist: Cosmic Babby und Jonzon präsentieren darauf „When you feel it“ und „Pump the Bass“ als Originale und als Remixes. Vor Veinmelter aber gab es zwei weitere Platten von Motte, eine EP und ein das Album „Chill out Planet Earth“, welches das Programm von Space Teddy auf den Punkt bringt. „The Space Teddy made me do it“, titelt Motte auf dem computerdesignten Sternencover und behauptet, alle sechs Stücke seien im „Overspace Studio“ produziert worden.

Man glaubt es ihm glatt: Der mehr als einstündige Trance klingt wie nicht von dieser Welt. Von irdischen Beats schrauben sich die Samples ins klangliche Nirvana, wo via Computer eingespielte Tonfolgen – minimal, doch beständig variiert – mathematische Endlosformeln akustisch machen wollen, bis sich alle Töne in universalem Frieden selbst aufzuheben scheinen. Halb ironisch, halb esoterisch ernst heißt das letzte Stück „Der Heilende Klang“. Chill out propagiert, meinen Teddys Angestellte, „Abheben von den Alltagssorgen“, die man der Rezession wegen hat.

Die Liste der Widmungen ist auf Chill out noch länger als auf der Rückseite der Debut-Maxi. Grüße werden nach Köln, England, Belgien, Chicago und Detroit geschickt. Trotz all der Bekanntschaften sieht sich Space Teddy auf dem weltweiten Markt aber vor Schwierigkeiten gestellt. Weil Teddys Warenzeichengesellschaft vor allem mit einem Minus wirtschaftet, das keinesfalls mit Mottes Club-Gagen gestopft werden soll, sorgt Reineke für einen vorsichtigen Vertrieb. Statt sensationelle Kurzerfolge zu landen, will er Space Teddy langsam, aber stetig zu einem Begriff machen.

Reineke, der hauptberuflich bei EFA die Abteilung Emotion Dance Union leitet, ist darum schon zufrieden, wenn sich von den 1.000 Exemplaren einer Erstpressung in England vierhundert Stück verkaufen lassen. In Amerika gestaltet sich das Geschäft noch schwieriger. Dort müssen die Clubs, die ja die wichtigsten Medien der Discjockeys sind, nicht selten nach Playlist auflegen lassen, und dort müssen die europäischen Produkte schlicht extraordinär sein, sollen sie überhaupt wahrgenommen werden. Da aber der einheimische Markt seit der Verkarstung der Radiolandschaft ebenfalls unzugänglich geworden ist, zieht es Motte und Reineke inzwischen nach ferneren Ländern.

In diesem Sommer beamt sich Motte durch Japan und Australien, um während Tournee und Urlaub auch das Verkaufsterrain zu sondieren. Space Teddy hat aus dem gelernten Betonbauer einen reisenden Agenten gemacht, für den Zeit und Raum keine Rolle spielen dürfen.

– + Roger & Over + –

Claudia Wahjudi