Jetzt ist der Senator der Intendant

Der Morgen danach: Betriebsversammlung im endgültig abgewickelten Schiller Theater  ■ Von Petra Kohse

Jetzt steht es fest: Die Staatlichen Schauspielbühnen werden nach dem Willen von Senat und Parlament „mit sofortiger Wirkung“ geschlossen.

Aber sofort ist relativ. Der Kartenvorverkauf muß und soll ebenso berücksichtigt werden wie unmittelbar bevorstehende Premieren. Kultursenator Roloff-Momin wollte offenbar wenigstens das Ende einvernehmlich gestalten und bat den geschäftsführenden Intendanten Volkmar Clauß am Freitag morgen zur Terminvereinbarung. Wie dieser in der nachfolgenden Betriebsversammlung im Schiller Theater erklärte, habe er die Terminsetzung jedoch dem Senator überlassen. Der Schließungsbescheid, der den 30. September als letzten Spieltag vorsieht, wurde ohnehin vorsorglich schon am Donnerstag ausgefertigt.

Clauß erzählt seiner Belegschaft nichts Neues, wie er da mit gebeugtem Rücken auf der Bühnenrampe sitzt. Die Schlacht ist geschlagen und verloren. Das weiß man seit dem Vorabend. Und darüber, wie wichtig der Berliner Öffentlichkeit der Grabenkampf um dieses Theater trotz zahlreicher Solidaritätsbekundungen mittlerweile noch ist, macht sich an diesem Morgen auch keiner mehr Illusionen: Als nach der Vorstellung von Haußmanns „Antigone“ am Donnerstag der Senatsbeschluß vor vollem Haus verkündet wurde, ging das Publikum keineswegs in die Revolte. Zwei müde Buhrufe – mehr nicht.

Jetzt also ist sich jeder selbst der nächste: Fragen nach vertraglichen Rechten und Pflichten werden dem Intendanten und dem anwesenden Anwalt gestellt. Resignation ebenso wie Ungeduld über die ungewisse Zukunft schwingt in den Stimmen mit. Kündigungen können zwar frühestens zum 1.August 1994 wirksam werden, aber kaum einer weiß, was er ab 1. Oktober für sein Geld tun wird. Am Dienstag wird es eine Personalversammlung mit dem Senator im Haus der Kulturen der Welt geben, Fragen sollen vorher schriftlich eingereicht werden, Beschäftigungskonzepte gibt es bis dato noch keine.

Für den Zynismus, mit dem Clauß dies mitteilt, hat die Belegschaft nicht mehr viel übrig. Auch nicht für seinen nun doch wieder aufflackernden Kampfeswillen. „Wir werden selbst bestimmen, wann hier Schluß ist“, sagt er und schlägt vor, ein Zeichen zu setzen und einfach weiterzuspielen, bis zur Premiere von Einar Schleefs „Faust“-Inszenierung. Mit diesem Ansinnen stößt er aber nicht auf viel Gegenliebe.

Ob dies nicht ein willkommener Kündigungsgrund sein könne, wird vorsichtig angefragt. Auch das mit dem Zeichen ist umstritten. Für wen es gesetzt werden soll, will die Belegschaft von ihrem Chef wissen. Für wen auch überhaupt noch weitergeprobt werden soll – eine ganz aktuelle und brenzlige Frage, da Benno Bessons Inszenierung von „Weißalles und Dickedumm“ beispielsweise vom Berliner Ensemble übernommen wird, eine Aussicht, die die derzeit ohnehin nur zu einem Drittel besetzte Technikermannschaft des Schiller Theaters besonders frustriert.

Eine Debatte über verschiedene Möglichkeiten eines „würdigen Abschieds“ schließt sich an, in deren Verlauf die Öffnung der Probenarbeit für Besucher ebenso verworfen wird wie eine neuerliche Reihe kulturpolitischer Veranstaltungen. Abwechselnd wird der „normale“ Spielbetrieb als „unwürdig“, dann wieder als einzig angemessene Option beschrieben. Immer wieder geht es auch darum, daß man nicht „mitten in der Arbeit aufhören“ wolle. „Thomas Chatterton“ im Schloßparktheater wird am 29. September auf jeden Fall Premiere haben. Aber was ist mit der Besson-Produktion? Kann man dem Regisseur, der aus Solidarität im Juni sofort eine gagenlose Inszenierung anbot, zumuten, den auf 2. Oktober projektierten Premierentermin zwei Tage vorzuziehen – womit außerdem mißlicherweise auch noch einem Vorschlag Roloff-Momins entsprochen würde? Volkmar Clauß ist dagegen und will wenigstens bis zu diesem Tag weiterspielen. Verwirrung, Unschlüssigkeit, Gereiztheit.

Bis dann aus dem Dunkel eine wohlbekannte Stimmer ertönt: „Ich habe schon 1930 auf der Bühne des Schillertheaters gestanden. Ich habe bis Dienstag um dieses Haus gekämpft. Wir alle haben enorm gekämpft, und es war leider ein Mißerfolg. Was nutzt es, wenn wir jetzt noch zwei Tage dranhängen? Die Premiere kann doch auch am 30. stattfinden. Jetzt ist ein Beschluß da, das ist das einzige, was zählt. Wir sind doch abhängig. Tun wir doch nicht so, als ob das nicht so wäre. Jetzt ist der Senator der Intendant und dem müssen wir uns beugen.“ Einhelliger Beifall für Bernhard Minetti, den Pragmatiker.

Jetzt ergreift auch Niels-Peter Rudolph das tröstende Wort und bepflastert die Wunden, die die Niederlage im Kulturkampf bei sicher vielen geschlagen hat mit der Erinnerung daran, daß man ja doch zumindest erreicht habe, daß der Senat mit seiner Nacht-und- Nebel-Entscheidung vom 22. Juni nicht durchgekommen sei. Nun wären die demokratischen Spielregeln eingehalten worden. Dagegen, daß das am Endergebnis nichts geändert habe, sei jetzt leider nichts mehr zu machen.

Begütigung als Grundvoraussetzung für den Konsens. Man wird sich ohne Aufbegehren in die Abwicklung fügen und damit bezeichnende Würde beweisen. Benno Besson wird gebeten werden, seine Premiere vorzuverlegen, wenn das nicht geht, wird man beim Senator anfragen, ob denn zwei weitere Spieltage auch noch angängig seien. Alle technischen und handwerklichen Kräfte konzentrieren sich auf die beiden Produktionen und den regulären Abendspielplan, die weiteren Proben werden augenblicklich eingestellt. Einar Schleef, den das schließlich auch betrifft, der aber bei dieser Versammlung am Freitag fehlte, hat ja bereits vor einigen Tagen angekündigt, seinen „Faust“ notfalls vor geschlossener Tür vor dem Theater donnern und stampfen zu lassen. Daß dies in der Tat ein wundervolles Zeichen sein könnte, darauf kam allerdings niemand.

„Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles.“ Dazu die Mannschaft in Kampfanzügen – ein Bild der Zukunft.

Aus dem Repertoire sind im Schiller Theater noch folgende Aufführungen zu sehen: „Ein Sommernachtstraum“ (19. und 23.9.), „Wie es euch gefällt“ (20. und 22.9.), „Hase Hase“ (21. und 26.9.), „Antigone“ (24. und 29.9.) sowie „Don Carlos“ (25.9.). Im Schloßpark-Theater: „Alpenglühen“ (18. und 24.–26.9.), „Der Held des Tages“ (22.9.) und „Die geliebte Stimme“ (23.9.)