Sicherheit nur noch für Reiche

■ „Berliner Wache“ baut privates Sicherheitsunternehmen in den Villen-Vororten im Südwesten auf / Für 375 Mark monatlich wird eine Villa rund um die Uhr bewacht

Grüne Weihnacht, weiße Weihnacht? Wenn es nach den Vorstellungen der „Berliner Wache“ geht, dann soll es ein blaues Fest mit rotem Akzent werden – zumindest in den Nobelvierteln Berlins. Pünktlich zum ersten Advent nämlich, so hofft die Geschäftsleitung des privaten Sicherheitsdienstes, werden die „Schutzleute“ des Unternehmens mit ihren dunkelblauen Anzügen und weinroten Baretten einen ständigen Streifendienst in Grunewald, Zehlendorf und Dahlem aufnehmen können. Neu daran wird sein, daß die Sicherheitsleute auf öffentlichen Wegen Streife gehen und fahren, aber von privaten Kunden bezahlt werden. Dieses System ist bisher einzigartig in Berlin. 375 DM im Monat kostet einen Villenbesitzer die Bewachung seines Eigenheims, 275 DM muß für ein Reihenhaus, 175 DM für eine Wohnung aufgebracht werden.

Nicht umsonst hat sich die „Berliner Wache“ als Zielgebiet die Viertel der Besserverdienenden ausgesucht. „Wir müssen betriebswirtschaftlich arbeiten“, sagt Ralf Sieberling, einer der beiden Geschäftsführer. Den Vorwurf, Sicherheit nur für Reiche zu bieten, weist er weit zurück: „Wir können in den anderen Bezirken nicht kostendeckend arbeiten.“ Dort sei die Straßen- und Wohnungsstruktur viel zu kompliziert, so daß man ein vielfaches an Männern einsetzen müßte, um die gleiche Qualität in der Arbeit bieten zu können. Und Qualität sei das wichtigste Kriterium, das die „Berliner Wache“ von anderen Sicherheitsdiensten unterscheide. „Wir geben unseren Männern 14 Diensthemden, bei anderen Unternehmen gibt es nur zwei“, sagt Sieberling.

Klar ist: In den Nobelvierteln sitzen die potentesten Kunden, die am meisten zu verlieren haben und deshalb am ehesten bereit sind, mehrere hundert Mark im Monat für die Privatpolizei zusätzlich auszugeben. Dabei sieht sich die „Berliner Wache“ nicht als Konkurrenz zur Polizei, sondern als „Auge und Ohr“ der staatlichen Ordnungshüter. „Wir wollen im Einvernehmen mit den Bürgern und der Polizei arbeiten“, sagt Mike Jürges, der zweite Geschäftsführer. Er ist ehemaliges Mitglied des SEK (Sondereinsatzkommando) Niedersachsen, wie seine Visitenkarte verrät. Seine Männer werden unbewaffnet auf Streife gehen, nur nachts dürfen sie den sogenannten Einsatzmehrzweckstab zur „Abwehr von Angriffen“ mit sich führen. „In erster Linie“, sagt Jürges, „wirken wir präventiv. Wir schrecken die Täter vor Straftaten ab.“

Um kostendeckend arbeiten zu können, braucht die „Berliner Wache“ in den angepeilten Gebieten 50 Prozent der Häuser in ihrer Kundenkartei. Wie viele es jetzt schon sind, will Sieberling nicht verraten, aber er sei „zufrieden mit der Kundenentwicklung“.

Alles andere als zufrieden mit der Situation ist dagegen die Gewerkschaft der Polizei. Burkhard von Walsleben, der Landesvorsitzende der GdP Berlin, glaubt, daß der Einsatz privater Sicherheitsdienste dazu führt, „daß sich die Reichen ihre Sicherheit kaufen und für den Rest der Bevölkerung das übrigbleibt, was der Staat bereit ist zu leisten“. Und auch Hans- Georg Lorenz, sicherheitspolitischer Sprecher der Berliner SPD, befürchtet ein „Zwei-Klassen-Sicherheitssystem“. Besonders beunruhigend am System der „Berliner Wache“ ist für ihn einerseits der vom Wachschutzunternehmen suggerierte Schulterschluß mit der Polizei, der „eine Unterwanderung der Moral der Polizei“ zur Folge haben könnte, andererseits der Druck, der auf die ausgeübt werden könnte, die nicht bereit sind, mit der „Wache“ einen Vertrag abzuschließen: „Private Wachdienste laufen immer Gefahr, bei ihrer Arbeit zu entgleisen.“

Sehr viel positiver sieht allerdings ein Praktiker die Arbeit privater Sicherheitsdienste: Winfried Roll, Kriminaloberrat und Referent für kriminalpolizeiliche Vorbeugung und Beratung, betrachtet auch das Sicherheitsgefühl des Bürgers als schützenswert. Das subjektive Bedrohtheitsgefühl der Bürger steige, obwohl die objektive Bedrohung, etwa die Zahl der Raubüberfälle, zurückgehe. Wenn ein Wachschutzunternehmen wie die „Wache“ dieses Gefühl stärken könne, sei gegen die Arbeit eines solchen Dienstes nichts einzuwenden. Allerdings sieht er keinen wirklichen Nutzen in der Praxis: „Die Polizei bietet immer noch ausreichenden Schutz vor Verbrechen.“ Es sei ihr zwar nicht möglich, an jede Straßenecke einen Beamten zu stellen, aber durch die bloße Präsenz lasse sich sowieso kein Straftäter mehr abschrecken. „Wenn vorne die Polizei steht, gehen die eben hintenrum rein.“

Doch auf genau dieses System der Abschreckung durch Präsenz baut die „Berliner Wache“. Durch ihre Arbeit, so sagt Mike Jürges, ist für den Täter die Gefahr, erkannt zu werden, relativ groß. Die von der „Wache“ gesicherten Gebiete sollen für Straftäter, besonders für Einbrecher, unattraktiv werden. Dabei nimmt das Sicherheitsunternehmen auch in Kauf, daß die Kriminellen woanders ihre Beute suchen. „Kriminalität kann man nur verdrängen, nicht vernichten“, sagt Jürges. Und sein Kollege Sieberling setzt noch einen drauf: „Irgendwo fällt immer Dreck an. Durch unsere Arbeit eben nur woanders.“ Martin Böttcher