Isolierter Lebensekel und Politik

■ Peter Sichrovsky stellt heute seine Interviews mit Rechten vor

Der Wahlabend hat es wieder bewiesen. Die Politiker verstehen den Rechtsradikalen nicht. Sie sprechen von seinem nahezu mystischen „Rumoren“, von seiner „unheimlichen“ Wut und dämonisieren die „Ängsten des Kleinen Mannes“. Hilflos starren sie in menschliche Abgründe, die so alt sind wie die Zivilisation selbst, und ihr Hoffen auf populistische Rethorik ersetzt ihr Denken über ökonomische Verdrängungsprozesse, sozialen Neid und Identitätsprobleme. Die Fußpflegerin in Alsterdorf aber, die diesmal DVU statt SPD gewählt hat, weil „so kann das ja nicht weitergehen“, will nur, „daß der Türke geht, wo er kommt“. Ein längeres Gespräch mit ihr würde zwar auch nichts klären, aber vielleicht etwas Nachdenklichkeit provozieren, die ohne voscherausche Patrizier-Posen auskommt.

Peter Sichrovsky hat jetzt derartiges Gesprächsmaterial in Buchform herausgebracht, damit die diffuse Angst vor dem „rechten Gespenst“ einmal mit realen Geschichten konfrontiert wird. Der Autor, der bereits über Kinder aus Nazifamilien eine Interviewsammlung verfasste, hat sich für sein neues Buch Unheilbar deutsch (Kiepenheuer & Witsch) mit Menschen zusammengestzt, die sich selbst als „rechts“ bezeichnen und hat sie einfach reden lassen. Hausfrauen, Lehrer, Funktionäre und Knackis berichten über die Verbitterung, die sie zum Rechten werden ließ. Diese Verbitterung resultiert beinahe immer aus alltäglichen Dingen.

Ekel vor den eigenen Hippie-Eltern, vor der „Invasion“ türkischer Nachbarn, die die deutsche Kleinbürger-Idylle ignorieren, vor dem Heuchel linker Pädagogen oder in der primitivsten Form schlicht als Lebensekel prägen die biografischen Selbsterklärungsversuche. Das Gefühl, mit diesen Problemen von allen im Stich gelassen zu werden, führt bei allen zu der aggressiven Protesthaltung, die nazistisches Vokabular als letzte Möglichkeit sieht, auf sich aufmerksam zu machen. Sichrovsky versucht erst gar nicht, das „warum“ zu klären. Vielmehr baut er Brücken in die Isolation der Rechten, sucht ihnen durch Ernsthaftigkeit gesellschaftliches Interesse zu vermitteln, und erhält so Reden, die sich vielfach nur in entscheidenden Winzigkeiten von der Rede deutscher Politiker unterscheiden.

Die Annäherung, die so gelingt, mag tatasächlich ein „unheimliches“ Gefühl erzeugen, andererseits weist dieser Dialog den einzigen Weg, mit dem das rechte Potential überhaupt erst einmal begriffen werden kann. Und ohne diesen Schritt ist es nicht zum Verschwinden zu bringen.

Eingeladen vom Jugendtheater auf Kampnagel, das sich als einziges Theater in Hamburg konsequent mit diesem Thema beschäftigt, liest und diskutiert Sichrovsky heute auf Kampnagel.

tlb

Kampnagel, Halle 4, 19 Uhr