Asylschiff überflüssig, aber es bleibt

■ Neue Prognose: Zahl der Asylbewerber geht um die Hälfte zurück / Senat will Hotels räumen

Ende des Jahres wird sich die Zahl der Antragsteller auf Asyl halbiert haben. Das ist das Ergebnis einer neuen Prognose, die die Sozialsenatorin Irmgard Gaertner gestern im Senat vorgestellt hat. Am Ende des zweiten Halbjahres 1993, so die Schätzung, wird der Zugang nur noch bei 18.000 Menschen liegen. Im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres hatte er bei 36.000, im ersten Halbjahr dieses Jahres sogar bei knapp 40.000 gelegen. Der Grund für den dramatischen Rückgang: Ab 1. April gilt das Beschleunigungsgesetz, und ab 1. Juli ist der „Asylkompromiß“ in Kraft getreten. Mit diesen neuen Zahlen wird ein Streit noch einmal aufgerollt, der noch vor ein paar Monaten die Koalition auf eine schwere Zerreißprobe gestellt hatte: Der Konflikt um das Asylschiff am Kohlenhafen. Von den aktuellen Zahlen her betrachtet ist das Schiff überflüssig, doch der Senat hat die Entscheidung über die Zukunft des Schiffs vertagt, bis klar ist, ob die Wirklichkeit die Prognose bestätigt. Klar ist bis dahin aber: Die Sozialbehörde hat Kapazitäten übrig und räumt zwei Übergangswohnheime sowie mehrere „problematische“ Hotel-und Pensionsplätze. Neubauten von Sammelunterkünften, wie an der Franz- Schütte-Allee geplant, werden überflüssig. Und das Schiff kommt vorerst nicht an den Weserbahnhof.

Im Frühjahr hatte sich die Ampelkoalition heftig darüber gestritten, ob das Asylschiff überhaupt nötig werden würde. Damals hatte die Sozialbehörde argumentiert, daß ohne das Schiff der Unterkunftsnotstand ausbrechen würde. Das hatten die Grünen mit dem Hinweis auf die Gesetzesverschärfungen im Asylrecht immer bestritten, hatten sich aber nicht gegen SPD und FDP durchsetzen können. Nun sehen die Prognosen ganz anders aus. Wenn sich bewahrheitet, was im Sozialressort hochgerechnet worden ist, dann werden Ende nächsten Jahres mehr Asylbewerber Bremen verlassen, als neue hinzukommen. „Erstmals seit mehreren Jahren“, so das Ressort, kehre sich dieser Trend um.

Das Schiff soll aber vorerst wie geplant belegt werden. Darauf hat sich die Koalitionsrunde am Montag abend geeinigt. Noch herrscht Unsicherheit, ob die Prognosen so eintreffen und daneben ist die Kostenfrage immer noch ungeklärt. In einer Berechnung aus dem letzten Jahr war herausgekommen, daß ein Platz in einer billigen Pension billiger ist als auf dem Schiff. Diesen Zahlen konnte Sozialstaatsrat Hans- Christoph Hoppensack, der am Montag seine Senatorin vertreten hatte, nicht widersprechen. Nun soll noch einmal neu gerechnet werden. Die Entscheidung über das Schiff ist verschoben.

Jetzt kann aber zum ersten Mal ein alter Senatsbeschluß angegangen werden: Die Räumung von Pensionen und Hotels, immerhin 21 Prozent aller Unterkünfte, und zwar nicht aus Kostengründen, sondern weil dort die Bedingungen katastrophal sind. Die Grünen befürchten nun, daß das Schiff auf alle Ewigkeit als Unterkunft festgeschrieben wird. Karoline Linnert von den Grünen: „Man sollte nicht Knall auf Fall alle Unterkünfte aufgeben.“ Elke Steinhöfel (SPD) dagegen findet die Senatsentscheidung nur begrüßenswert: „Sollen die lieber aufs Schiff, statt daß sich Immobilienhaie eine goldene Nase verdienen.“ Sie hofft, mit der Entscheidung „soziale Konflikte“ in Stadtteilen mit hohem Zuwandereranteil zu entschärfen.

In zumindest einem Stadtteil wird sich der Konflikt eher zuspitzen: Das Asylschiff bleibt vorerst in Gröpelingen. Aus zwei Gründen war niemand für den Weserbahnhof: Zum einen habe die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bedenken, ob das Schiff den maritimen Verhältnissen des Standorts Weserbahnhof gewachsen sei, sagt SPD-Fraktionschef Claus Dittbrenner. Zweitens aber war in Ampelkreisen zu hören, man müsse ja nicht unbedingt die ohnehin schon teuerste Unterkunft noch teurer machen. Jochen Grabler