Nicht mehr im Bilde

Berlin (taz) – Die Live-Übertragung eines Europapokalspiels im Fernsehen – was war das noch früher. Abende, denen man entgegenfieberte, Jubelfeiern und Tragödien, die sich für immer ins Fußball-Gedächtnis einschrieben: Der in letzter Minute rettende Fernschuß des ewig geschmähten „Kaiser“- Gehülfen „Katsche“ Schwarzenbeck gegen Athletico Madrid; die niederträchtige Abseits-Fahne des Linienrichters, die die himmelsstürmenden Gladbacher um den verdienten Sieg gegen Reals „königliche“ Madrilenen betrog – unvergeßliche Ereignisse. Die Legende schlechthin aber, der durch Bonisegnas Heimtücke im nachhinein verdorbene 7:1-Büchsenwurf-Sieg der Borussen vom Bökelberg über Internazzionale Mailand, blieb uns wegen, wie das damals hieß, „überhöhter Honorarforderungen“ versagt.

Das zumindest kann in den mit dem Privatfernsehen hereingebrochenen Fußball-Total- Zeiten nicht mehr passieren. Wer gedacht hatte, das geldgierige Doppelpaß-Spiel zwischen Privaten und Eliteclubs wäre mit der Ausdehnung eines einzigen Bundesligaspieltages auf vier Fernsehabende ausgereizt, mußte sich vergangene Woche eines Besseren belehren lassen. Alle sechs Erstrunden-Europacupspiele mit deutschen Teams gingen live auf den Sender. Mit DFB-Pokal und Bundesliga konnte man in zehn Tagen neun Live-Übertragungen sehen.

Der FC Bayernübernahm mit drei Live-Auftritten und 300 Fernsehminuten souverän die Tabellenspitze beim gewinnträchtigen Fernsehkick. Kein Wunder, daß der geschäftssinnige Uli Hoeneß, der beim Thema Geld ansonsten eher zu schwäbischem Griesgram neigt, unlängst vom „angemessenen Preis“ schwärmte, den die Medien inzwischen für die „Unterhaltungsware Fußball“ bezahlen. Daß die Konsequenz aus dem Marathon, der nächste Woche seine Fortsetzung findet, alle Tage Fußball-Eintopf statt der sparsam servierten Leckerbissen von einst bedeutet, juckt die Abzocker wenig. Solange es der Fan schluckt, gibt's jetzt eben Spartak Wladikawskas statt AC Milano. Bobby Brünn statt FC Barcelona – und Nachschlag bis zum Erbrechen. Die Moderatoren zumindest zeigten sich im Bewußtsein der verabreichten Mogelpackungen rührend bemüht, allen voran Uli Potofski. Wo die fußballersichere Klasse fehlt, setzt der RTL-Mann auf die menschliche Dimension: „Berti Vogts“, erzählt er, „ist nicht im Stadion, er mußte zu einer Beerdigung.“ – „Die Bibel ist das spannendste Buch der Welt“, wird Bremens Kicker Wynton Rufer zitiert, während von seinem Trainer, der offenbar mehr dem Irdischen zugetan ist, per eingeblendetem Insert die Aussage in Umlauf gebracht wird: „Der einzige, der beim Werder einen Porsche fahren darf, bin ich.“ Prädikat: „Pädagogisch wertvoll“, dann die en passant erteilte Lektion in Fußball-Fernsehlehre: „Der war sehr hoch, der Ball“, spricht die geballte Moderatorenerfahrung, „das merken Sie daran, daß er sehr lange nicht im Bild war.“ Tags darauf: Der strahlende „Ran“-Macher Beckmann langweilt mit dem üblicheh Halbzeitfüller-Interview. Die Rede kommt zum 528. Male auf den Europapokaltriumph der Dortmunder Borussen. „Und wer“, fragt Beckmann seinen Gast „Kalle“ Rummenigge. „hat 66 bei Dortmund mitgekickt?“ – „Ja“, strahlt auch der Kalle, „das ist richtig.“ Wie bitte, denken wir, wird der jetzt endgültig schon senil? Zu oft co- reportert an der Seite des Kölner Graubarts, von dem Uli Hoeneß einmal gesagt hat: „Faßbender ohne die Sportschau, der gibt sich die Kugel“? Aber dann verstehen wir. Und Rummenigge will uns für einen Moment richtig sympathisch erscheinen. Er hat's gemacht wie wir auch: mittendrin einfach abgeschaltet. Ulrich Fuchs