Südafrika: Verschiebung der Wahlen?

Der Termin für Südafrikas erste freie Wahlen steht auf der Kippe / Der angestrebte Zeitplan ist fast nicht einzuhalten / Politischer Streit und lähmende Angst vor ausufernder Gewalt  ■ Aus Kapstadt Willi Germund

Richter Richard Goldstone wurde bei einem Empfang in der deutschen Botschaft deutlich wie selten: „Es gibt hier in Südafrika Gruppen, die Wahlen verhindern wollen.“ Doch was der Vorsitzende der Untersuchungskommission zur politischen Gewalt rechten wie linken „Terroristen“ zutraut, scheinen Politiker des Landes mit ihren Manövern bereits erreicht zu haben: Der Termin für Südafrikas erste demokratische und allgemeine Wahlen am 27. April 1994 muß möglicherweise verschoben werden.

Piet Colyn, Regierungsdirektor des südafrikanischen Innenministeriums: „Spätestens in der ersten Dezemberwoche muß die Unabhängige Wahlkommission ernannt werden.“ Abgesehen davon, daß die Zusammensetzung der Wahlkommission noch völlig unklar ist, hängt ihre Ernennung von der Einsetzung einer allparteilichen Übergangsregierung ab, die wiederum frühestens Ende November ihr Amt übernehmen wird. Und bis dahin muß ein Kompromiß mit der konservativen Schwarzenbewegung „Inkatha“, die Wahlen erst im September will, und der rechtsgerichteten „Afrikaaner Volksfront“ ausgehandelt werden. Die Übergangsregierung kann ihr Amt auch erst antreten, wenn eine Übergangsverfassung verabschiedet worden ist – samt der komplizierten Frage der Machtaufteilung zwischen Zentral- und Länderregierungen.

Ein Wahlgesetz steht ebenfalls noch aus – bisher wurden nicht einmal die Umrisse diskutiert. Das größte Hindernis aber ist die Reform der Lokalverwaltungen, die zu einer Integration der nach Rassen getrennten Kommunen führen sollen. Die Beratungen darüber stehen bei Null, nachdem sich die Regierung von einer Einigung aus Furcht vor weißem Widerstand zurückzog.

Sollten all diese Vorbereitungen entgegen allen Erwartungen trotzdem in den nächsten Monaten vollendet werden, sind die Wahlen am 27. April dennoch nur möglich, wenn die Unabhängige Wahlkommission die bei ihrer Einsetzung bestehenden Vorgaben des Innenministeriums der weißen Minderheitsregierung übernimmt. Der problematischste Punkt: Bei der Auszählung und Übermittlung von Wahlergebnissen müßte auf die Computer des Innenministeriums zurückgegriffen werden.

Die Wahlkommission steht zudem vor einem Berg von Aufgaben. So werden laut Innenministerium 135.000 Personen benötigt, die am Wahltag in den voraussichtlich 7.500 Wahllokalen die Ausweise der Wähler kontrollieren, ihre Hände mit unlöschbarer, nur unter UV-Strahlung sichtbarer Tinte markieren und Wahlzettel aushändigen. Ihre Ausbildung dürfte zwar nur drei Wochen dauern – ihre Auswahl dagegen länger. Allein fünf Wochen veranschlagt Colyn für den Druck von 26 Millionen Wahlzetteln. Sollten die Stimmen für die regionalen Vertretungen auf einem zweiten Zettel abgegeben werden, wären weitere fünf Wochen Druckzeit notwendig. Die Stimmzettel wiederum können erst in Auftrag gegeben werden, wenn klar ist, wer am Urnengang überhaupt teilnimmt; Registrierung, Zulassung und Einspruchsfristen von Parteien aber werden mehrere Monate brauchen.

Regierungsdirektor Colyn gibt denn auch zu, daß die Zeit knapp wird. Der enge Zeitplan verhindert auch die Vorbereitung eines sogenannten „Quick-Counts“, den die UNO schon in Nicaragua, Namibia und Angola organisiert hatte und den es auch bei den Wahlen in El Salvador geben wird. Der „Quick- Count“, eine Art gründliche Hochrechnung, liefert bereits in der Wahlnacht ein repräsentatives Ergebnis und erschwert so jeden Versuch von Wahlbetrug. Gerade in Südafrika mit seiner politischen Polarisierung würde eine solche „Schnellzählung“ zur Glaubwürdigkeit beitragen.

Die Wahlkommission muß auch überlegen, wie sie mit der zu erwartenden Gewalt vor und am Wahltag umgehen will. In Diplomatenkreisen wird die Möglichkeit diskutiert, daß die Wahlkommission an bestimmten Orten die Wahlen aussetzen kann. Ein Diplomat: „Sollte eine Organisation ein bestimmtes Gebiet in eine ,No Go‘-Gegend verwandeln, würde sie sich selbst bestrafen. Denn durch die lokale Aussetzung würden die Stimmen in solchen Gebieten nicht gezählt.“ Colyn überlegt, die Urnen in gewaltträchtigen Gegenden so aufzustellen, daß die Anhänger politischer Organisationen zur Stimmabgabe nicht in das Gebiet ihrer Gegner gehen müssen. Doch dann stellt sich die Frage der Beobachter aus den verschiedenen Parteien an den Wahlurnen. Offen ist zudem, wer auf welche Weise für den Schutz der Wahllokale sorgen soll und wo die Stimmzettel schließlich ausgezählt werden. Der Transport zu zentralen Zählstellen würde die Möglichkeit eröffnen, Urnen und Stimmzettel zu vertauschen.

Ein Diplomat in Südafrika warnt jedenfalls schon vor zu großen Erwartungen: „Man sollte nicht erwarten, daß die Wahlen insgesamt frei und fair sein werden. Man sollte die Wahlen aber deshalb auch nicht von vornherein verurteilen.“