Zum Verhandeln verGATTert

■ Die Elefantenrunde der EG-Minister kann sich nicht über Agrarsubventionen einigen / Jetzt soll die EG-Kommission die Quadratur des Kreises vollbringen

Berlin/Brüssel (taz/AFP) – Sir Leon Brittan ist wahrlich nicht zu beneiden. Der EG-Kommissar für Außenhandel hat gestern in den frühen Morgenstunden den Auftrag erhalten, die Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen: Er soll für sämtliche Agrarstreitigkeiten innerhalb der EG sowie zwischen den USA und der EG eine „für alle Parteien akzeptable Einigung erzielen“.

Diesen unerfüllbaren Auftrag halsten ihm die 35 Außen-, Landwirtschafts- und Wirtschaftsminister der EG nach zwölfstündigen Beratungen über das sogenannte Blair-House-Abkommen auf. Über dieses Abkommen, in dem die EG den USA einen Abbau der Subventionen für Agrarexporte versprochen hatte, soll nun nicht mehr mit den USA neu verhandelt, sondern bloß noch nachverhandelt werden. Frankreichs Regierung hatte ursprünglich auf der Neuverhandlung bestanden, rückte aber in einem Formelkompromiß von dieser Formulierung wieder ab.

Eine endgültige Entscheidung über die Haltung der EG wurde damit allerdings nur auf den 4. Oktober, wenn sich die EG-Außenminister erneut treffen, vertagt. Bis dahin soll Brittan mit dem US- Handelsbeauftragten Mickey Kantor Zugeständnisse zum Vorteil Frankreichs herausverhandelt haben. Wenn das Blair-House-Abkommen, ein Kompromiß, auf den sich USA und EG im November nach zähen Verhandlungen geeinigt haben, platzen sollte, dürfte auch das neue Gatt-Welthandelsabkommen endgültig gescheitert sein. Weil das Verhandlungsmandat für US-Präsident Clinton begrenzt ist, stehen 108 Nationen unter dem Zwang, die Gatt-Verhandlungen bis zum 15. Dezember erfolgreich abzuschließen. Denn niemand rechnet damit, daß der US- Kongreß Clinton ein neues Gatt- Verhandlungsmandat erteilen wird.

Von der geplanten Liberalisierung des Welthandels erhoffen sich die beteiligten 108 Länder eine Konjunkturspritze im Wert von 200 Milliarden Mark für die stagnierende Weltwirtschaft. Gerade die Entwicklungsländer rechnen mit verbesserten Chancen für ihre Produkte auf den Märkten der Industrieländer.

Der Streit zwischen den USA und der EG um Agrarsubventionen hat die 1986 begonnenen Gatt- Verhandlungen bereits um drei Jahre verschleppt. Erst das Blair- House-Abkommen – eine Art Vorabkommen von USA und EG zum Gatt – brachte die Verhandlungen in Genf wieder in Gang. Darin verpflichtet sich die EG, ab 1994 die subventionierten Agrarexporte innerhalb von sechs Jahren um 21 Prozent zu verringern. Außerdem sollen die EG-Ausgaben für direkte Exportsubventionen für jedes einzelne Erzeugnis bis 1999 um 36 Prozent abgebaut werden. Umstritten blieb nach wie vor die Produktion von Ölsaaten (Soja, Raps, Sonnenblumen): Frankreich hatte die USA überreden können, dieses Thema aus dem Blair-House-Abkommen wieder herauszunehmen und der EG das Tempo der gleichfalls subventionierten Flächenstillegungen zu überlassen.

Die EG-Exportsubventionen dienen dazu, die Agrar-Überproduktion Europas zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt loszuschlagen. So kostete beispielsweise das Kilo EG-Rindfleisch in Brasilien im vergangenen Jahr nur 90 Pfennig – noch weniger als brasilianisches Rindfleisch. Auch der Getreideanbau lohnt sich in vielen Entwicklungsländern nicht mehr, weil die Bauern dort ihre Produkte nicht so billig anbieten können wie die EG.

Frankreichs Regierung betonte gestern erneut, daß es mit dem Subventionsabbau, wie in das Blair-House-Abkommen vorsieht, auf keinen Fall einverstanden ist. Außenminister Alain Juppé drohte erneut, einen Gatt-Abschluß per Veto zu verhindern, falls der Agrarkompromiß nicht substantiell geändert werde – was die US-Seite bislang strikt abgelehnt hat.

Die EG-Ministerrunde wertete gestern das Ergebnis der Beratungen unterschiedlich. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt betonte, das Blair-House-Abkommen mit den USA werde damit nicht wieder aufgeschnürt, weil die US-Regierung für diesen Fall mit einem Scheitern der gesamten Gatt-Runde gedroht hatte. Juppé sagte: „Wir haben erreicht, was wir wollten.“ Die EG-Kommission müsse nun erneut mit der US-Regierung über die von Frankreich kritisierten Punkte beraten. Bundesaußenminister Klaus Kinkel, der durch bilaterale Kontakte mit Frankreich und Großbritannien maßgeblich zum Zustandekommen des Kompromisses im Ministerrat beigetragen hatte, zeigte sich erleichtert: „Dieser Rat hätte ja durchaus auch scheitern können. Europa hat einen schwierigen Tag erlebt.“ Donata Riedel