Müllgebühren schießen in die Höhe

■ Mit der Beteiligung Berlins an der MEAB werden die Sanierungskosten für die Deponien auf die Verbraucher abgewälzt / Heftige Kritik des Parlaments an dem Müllvertrag mit Brandenburg

Die Berliner werden künftig für die Müllbeseitigung tief in die Tasche greifen müssen. Wie Verkehrssenator Herwig Haase gestern vor dem Verkehrsausschuß des Abgeordnetenhauses erklärte, werden sich die Preise „deutlich erhöhen“. Wie „deutlich“ das sein wird, hängt im wesentlichen von dem Aufwand ab, der erforderlich ist, um die Mülldeponien Vorketzin, Deetz, Schöneiche und Röthehof zu sanieren. Dorthin wurden zu Westberliner Zeiten die Abfälle verbracht, zu Billigpreisen und ungeachtet jeglicher ökologischer Gesichtspunkte. Für diese Umweltsünden soll das Land Berlin nun aufkommen. In einem Vertrag mit Brandenburg über die Einrichtung einer gemeinsamen „Märkischen Entsorgungsanlagen-Betriebsgesellschaft“ (MEAB) wurde vereinbart, daß die Berliner künftig für ihre Müllentsorgung mehr bezahlen als die Brandenburger und dieses Mehr zur Sanierung verwandt wird.

Offizielle Untersuchungen, die noch zu DDR-Zeiten erstellt wurden, gehen von einem Bedarf von 1,3 Milliarden Mark aus. Diese Summe, so stellte gestern der Präsident des Landesrechnungshofes Horst Grysczyk klar, werde sicherlich überschritten, denn dies sei der Betrag, der zur Sanierung erforderlich sei, sollten die Deponien 1994 geschlossen werden. Sie werden jedoch weiter genutzt, deshalb, so Grysczyk werden sich die Kosten „vervielfachen“. Summen von 3,3 Milliarden und gar 5,7 Milliarden wurden bereits genannt, in ihnen sind jedoch auch Mittel enthalten, um die Deponien zu ertüchtigen und zu erweitern. Welche Gebührenhöhe das bedeutet, hängt im wesentlichen von dem Zeitraum ab, innerhalb dessen die Sanierung beendet sein soll.

Zur Zeit zahlt Berlin für eine Tonne Siedlungsabfall 45 Mark. 50 Mark mehr, so rechnete Haase gestern, würden mit 3 Mark pro Kopf der Bevölkerung zu Buche schlagen. In seinem Hause werden jedoch bereits Tonnenpreise von 130 Mark gehandelt. Die Grünen gehen bei einem Sanierungsbedarf von 4,3 Milliarden Mark von einer monatlichen Belastung von 160 Mark für einen Vier-Personen- Haushalt aus – eine Vervierfachung gegenüber dem jetzigen Stand.

Der Vertrag über die MEAB wurde bereits Ende Juni unterzeichnet. Berlin und Brandenburg kauften damit die Deponiebetriebe mit einem Betriebsvermögen von 200 Millionen Mark von der Treuhand zum symbolischen Preis von einer Mark. Im Gegenzug entließen sie den Bund aus der Sanierungsverpflichtung. Dieser hätte, so kritisiert nun das Bündnis 90/ Grüne, den Käufer von der Haftung für die Altlasten freistellen müssen. Die sogenannte Haftungsfreistellung erfolgt in der Regel, wenn der Verursacher einer Altlast, in diesem Fall die DDR, nicht mehr haftbar gemacht werden kann und der Investor die Kosten dafür nicht übernehmen will. Wie der Chef der Senatskanzlei, Volker Kähne, gestern erklärte, sei der Bund dazu jedoch nicht bereit gewesen. Zudem hätte er, würde er diese Kosten übernehmen, einen entsprechend höheren Kaufpreis verlangt.

Kähne sieht die Interessen der Berliner Bürger an vertretbaren Abfallgebühren dadurch gewahrt, daß deren Festsetzung im dafür entscheidenden Aufsichtsrat des Unternehmens vier Fünftel der Stimmen erfordert. Da Berlin wie Brandenburg zwei Vertreter in das Gremium entsendet, hat es bei der Gebührenentscheidung eine Sperrminorität. Daß das fünfte Mitglied des Aufsichtsrats von Brandenburg vorgeschlagen wird, paßt wiederum der SPD nicht, die eine eindeutige Parität fordert.

Die Änderungswünsche der Parlamentarier werden sich kaum erfüllen lassen. Denn der Senat hat zwar bei der Vertragsunterzeichnung Ende Juni die Zustimmung des Abgeordnetenhauses zum Vorbehalt gemacht, doch sollte diese nicht bis zum 30. September erfolgen, steht es der Treuhand und dem Land Brandenburg frei, die MEAB an einen privaten Investor zu veräußern, Berlin würde dann vollends von deren Preisfestsetzungen abhängig sein. Änderungen einzelner Punkte des Vertrages sind nicht mehr möglich. Deshalb lamentierten die Abgeordneten gestern zwar über die „erpreßbare Situation“, in der sich Berlin befinde, doch werden sie wohl dieser „Erpressung“ nachgeben. Dieter Rulff