Fuchs Kinkel ohne Blöße beim bösen Wolf

Außenminister Kinkel und Elder statesman Genscher als Zeugen im Markus-Wolf-Prozeß / Wurde Willy Brandt bewußt über Spionageverdacht gegen Guillaume im Unklaren gelassen?  ■ Aus Düsseldorf W. Jakobs

Nein, Außenminister Klaus Kinkel hat das reinste Gewissen. Selbstbewußt, ohne eine Spur von Unsicherheit sprach er gestern immer dann von „absurden Vermutungen und Unterstellungen“, wenn er im Zeugenstand des Düsseldorfer Oberlandesgerichts auf die Umstände des Rücktritts von Willy Brandt angesprochen wurde. Nicht nur Günter Guillaume, einst einer der Top-Agenten des in Düsseldorf angeklagten früheren Spionagechefs der DDR Markus Wolf, kolportiert seit langem, daß er nur der „Knüppel gewisser Kräfte“ gewesen sei, um Brandt aus dem Amt zu jagen.

Für Günter Nollau, dem früheren Chef des Kölner Bundesamtes für Verfassungschutz, war die Sache klar: In dem Spionagefall des ehemaligen Brandt-Referenten Guillaume, so die bittere Klage des inzwischen verstorbenen Kölner Abwehrchefs vor Vertrauten, „hat mich der Kinkel beschissen“. Der Groll gegen den heutigen Außenminister Klaus Kinkel geht auf ein Gespräch vom 29.5.1973 zurück. Damals informierte Nollau den amtierenden Innenminister Hans- Dietrich Genscher im Beisein von Klaus Kinkel, seinerzeit Büroleiter bei Genscher, über den Spionageverdacht, den die Kölner Schlapphüte gegen den Kanzlerreferenten Günter Guillaume hegten. „Schwerwiegendste Verdachtsmomente“ habe er an diesem Tage – gestützt auf ein 19seitiges Dossier – vorgetragen, schrieb der Verfassungsschutzchef später in seinen Memoiren. Diese Nollau-Version hatten Kinkel und Genscher schon bei dem entsprechenden Untersuchungsausschuß 1974 in Bonn widersprochen.

Auch gestern sprach Kinkel wieder von einem „vagen Verdacht“, der in der Sache „relativ dünn war, was die Beweisbarkeit angeht“. Über die Unterredung hatte er seinerzeit einen Vermerk angelegt, der erst ein Jahr später in der Geheimregistratur des Innenministeriums abgelegt worden war. Warum? Weil Kinkel ihn möglicherweise nachgeschrieben und dann rückdatiert hatte, um sich und Genscher in ein besseres Licht zu setzten? Kinkel wies diese Vermutung gestern als „ehrenrührige Unterstellung“ zurück. Dabei wirkte er in der Sache überzeugend. Er habe den Vermerk seinerzeit seiner Sekretärin diktiert und in seinem dienstlichen Panzerschrank von dem zuständigen Registrator ablegen lassen. Als dann der Fall Guillaume mit der Verhaftung ein Jahr später „akut“ geworden sei, habe er den Vermerk in den „offiziellen Geschäftsgang“ gegeben. Kinkel wörtlich: „Bis zur Festnahme von Guillaume habe ich nicht geglaubt, daß er ein Spion war“.

Willy Brandt, von Genscher nur vage über einen Spionageverdacht gegen Guillaume informiert, nahm seinerzeit seinen Referenten arglos mit zum Sommerurlaub nach Norwegen – eine Goldgrube für den „DDR-Kundschafter“. Die Nato-Papiere, die Guillaume hier in die Hände fielen, gehörten zu dem bestgehüteten Geheimnissen des westlichen Bündnisses. Aus Sicht der Verteidigung trägt der jetzt anklagende Staat für diesen Verrat selbst die Verantwortung, weil er seinerzeit die längst mögliche Enttarnung unterließ. Neue Nahrung für die Version, daß dies seinerzeit aus politischem Kalkül geschah, um Brandt mittels Guillaume zu stürzen, brachte die Befragung Kinkels und Genschers gestern nicht. Genscher, der nach kaum zehn Minuten schon wieder draußen war, blieb bei seiner Version, daß der Verdacht zu „vage“ gewesen sei, um zu handeln. Den Antrag der Verteidigung, eine Ausweitung der Aussagegenehmigung von Kinkel einzuholen, um ihn zu seiner Taätigkeit als BND- Chef befragen zu können, lehnte das Gericht ab.