Befreiung vom Folklorezwang

■ An diesem Wochenende präsentiert die Hammoniale die Kultur der Sinti und Roma

Sinti und Roma erfahren tagtäglich, wieviel Borniertheiten auf dieser Welt noch Platz finden. Ob nun reale Probleme im Karolinenviertel zur Diskriminierung des ganzen, dabei doch so vielfältigen Volkes herhalten müssen, ob brave Deutsche im Alten Land umgedrehte Besen in die Haustür stellen, auf daß dies die abergläubischen „Zigeuner“ vertreibe: Es gibt kaum eine ethnische Gruppe, die mit einem so vernagelten Verständi-gungswillen umzugehen hat.

Insofern ist es keine kulturelle Veranstaltung unter vielen, wenn die Hammoniale an diesem Wochenende unter dem Motto Wir gehen Wege ohne Grenzen eine weite Bandbreite der Sinti-und Roma-Kultur präsentiert. Die Qualität des Dargebotenen könnte dazu beitragen, eine lebendige, sich aus Tradition und Innovation speisende Vielfalt aus einem kulturellen Ghetto herauszuholen, das von Unwissen und Folklorezwang begrenzt und allenfalls von einem Exotikbonus abgemildert wird.

Zu den Selbstläufern des Wochenendes zählen sicherlich Los Reyes (heute, Halle 6, 21 Uhr). Bei dieser Kapelle aus der Camargue braucht man nur zu erwähnen, daß sie die Cousins der Gipsy Kings sind, und schon erübrigen sich weitere Erläuterungen. Aber nur ungenügend bekannt ist die Vielfalt an Musikstilen, die Sinti und Roma im Laufe ihrer Geschichte hervorgebracht haben, indem sie eigene Traditionen mit denen ihrer jeweiligen Heimatländer mischten. Wer die Konzerte in Erwartung klassischer ungarischer „Zigeunermusik“ besucht, wird so manche Überraschung erleben. Das türkische Erköse Ensemble etwa verschmilzt orientalische Klänge mit roemelli, der Musik der türkischen Roma (Sa., Halle 6, 21 Uhr). Und bei Taraf de Haidouks ist gar nicht mehr auseinanderzuhalten, welche Musiktraditionen des Balkans sie alle vereinigen. Die neueste CD der rumänischen Formation erklomm übrigens gerade den ersten Platz der Charts of World-Music (So., Halle 6, 20 Uhr).

Wieder etwas anderes unternimmt das polnische Sam Roma-Ensemble, das schon seit einigen Jahren in Hamburg lebt. In Form eines Singspiels erzählt es die Geschichte der Papusza, einer Roma-Dichterin, die von ihrem Volk verstoßen wurde, weil sie sich das Lesen und Schreiben beibrachte. Neben den Texten der Papusza transportiert die Rahmenhandlung eine Vielzahl von Liedern und Tänzen der polnischen Roma.

Authentizität und Klischee, traditionelle und neue Elemente, musikalische Professionalität und darstellerisches Laientum verbinden sich dabei zu einer hinreißenden Melange. Sam Roma sprühen so sehr vor Erfindungslust und Spiellaune, daß sie gar keine Zeit haben, das Publikum zu langweilen. Und es ist durchaus ernst zu nehmen, wie brisant die Geschichte für viele Sinti und Roma auch heute noch ist. Wie viele der vorgestellten Gruppen unterlaufen Sam Roma einen entleerten Kulturbegriff, dem bei Folklore nichts anderes als Buntheit und gute Laune einfällt (Fr.-So., Halle 2). Die österreichische Roma-Schriftstellerin Ceija Stojka, auf deren Lesung noch hingewiesen sei, formuliert es so: „Man lernt durch die Musik, was erlaubt ist und was nicht. Man lernt die Gesetze. Und diese Tradition ist bis heute geblieben.“ (Sa., Halle 1, 19 Uhr)

So ist denn der Ansatz des Hammoniale-Festivals, zum Verständnis fremder Völker über die Darstellung ihrer Kultur beizutragen, bei den Sinti und Roma in guten Händen. Zumal in vielen weiteren Veranstaltungen die Kultur der Begegnung auch außerhalb von reinen Kulturereignissen geprobt werden kann. Dirk Knipphals