Nachschlag

■ Ein Film, ein Buch und Stephane Hessel

Das kann und soll man sich nochmals im Kino anschauen: „Jules et Jim“ von François Truffaut, eine lebensbunte Dreiecksgeschichte in Schwarzweiß. Und dann soll man sich noch das Buch des FU-Professors Manfred Flügge kaufen (Aufbau-Verlag, 44 DM), das den Titel trägt: „Gesprungene Liebe – die wahre Geschichte von Jules und Jim“. Der eine nämlich war in Wirklichkeit der Pariser Kunsthändler Henri-Pierre Roché, der andere der deutsch-jüdische Schriftsteller Franz Hessel – und beide liebten sie vor und nach dem Ersten Weltkrieg die gleiche Frau, Helene Hessel. 1940 starb ihr Mann, der längst auf der schwarzen Liste der Nazi-Besatzer gestanden hatte, der Freund schrieb 1956 das Buch, das zwar bei Gallimard erschien, aber dennoch ein Flop wurde. Bis Truffaut den Roman entdeckte und verfilmte; Henri-Pierre Roché war kurz zuvor gestorben, Helene Hessel, die 96 Jahre alt werden sollte, saß bei der Uraufführung des Films unbemerkt im Saal.

Wer aber am Mittwoch abend nicht im Institut des Français Unter den Linden war, hat leider das Entscheidende verpaßt, er bekam den Sohn Stephane Hessel weder zu sehen noch zu hören, einen alten Monsieur, Charmeur, Weltbürger und Philanthrop mit unverwechselbarer Biographie. 1941 flüchtete er nach London, schloß sich de Gaulles „Freiem Frankreich“ an, kehrte ins besetzte Paris zurück, geriet in die Hände der Gestapo, kam nach Dachau, flüchtete, kämpfte weiter, wurde wieder verhaftet, flüchtete erneut. 1948 war er federführend bei der Deklaration der UN-Menschenrechtscharta, arbeitete bei der Unesco, nahm in leitender Position an der kürzlich in Wien abgehaltenen Menschenrechtskonferenz teil. Und doch ersetzen diese Daten gar nichts, man muß das gesehen haben, dieses Urvertrauen in die Vernunft, diese Güte, die so gar nichts gemein hat mit blauäugigen Versöhnungs-Träumereien. Das höfliche Interesse (mehr war es nicht), mit dem Hessels Gedanken zu den universal geltenden droites des hommes aufgenommen wurden, zeigte die ganze zivilisatorische Kluft zwischen den Nachbarländern. Sich zu freuen, im nunmehr unvermauerten Ostberlin zu sitzen und eine kosmopolitische Liebesgeschichte zu erzählen – es kam wohl nur ihm, dem französischen Intellektuellen und Sohn deutscher Juden, in den Sinn. Viel zu einfach und human, um wirklich wahrgenommen zu werden. Stephane Hessel hätte keinen besseren Aphorismus aus der Feder seiner Mutter zitieren können: „Wer keinen Mut hat, braucht eine komplizierte Philosophie.“ Marko Martin