Dritte Runde für Reformklinik

■ Gesundheitssenator Luther unterstützt anthroposophisches Krankenhausprojekt

Zweimal ist das Projekt „anthroposophische Reformklinik“ in Berlin bereits gescheitert. Ende 1991 hatten Teile des Personals im Lichtenberger Oskar-Ziethen- Krankenhaus eine Übernahme ihrer Klinik durch einen anthroposophischen Träger verhindert. Danach kam das American Hospital in Steglitz, das im Herbst kommenden Jahres frei wird, ins Gespräch. Doch dieses sprach der Senat im Sommer der Freien Universität zu. Dabei hat allem Anschein nach der Ärztliche Direktor des Uniklinikums Steglitz sein Interesse mit Hilfe aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Beziehungen durchgesetzt. „Mafiose Strukturen“ warf der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, der Berliner Gesundheitspolitik daraufhin vor.

Nun gehen die Querelen in die dritte Runde. Die Senatsverwaltung für Gesundheit hat ein neues Objekt ausfindig gemacht: das Spandauer Krankenhaus Havelhöhe. Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) will den Standort als anthroposophische Klinik mit 320 Betten im nächsten Krankenhausrahmenplan berücksichtigen. Der anthroposophische Trägerverein betrachtet diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. „Im Krankenhaus Havelhöhe können vermutlich weder eine Station für Gynäkologie noch für Kinderheilkunde eingerichtet werden“, erklärt Hartmut Stickdorn, Vorstandsmitglied des Trägervereins. Beide Abteilungen gehören zu einem anthroposophischen Krankenhaus eigentlich dazu.

Spätestens seit dem Besuch des Gesundheitsausschusses 1992 in der Reformklinik Herdecke bei Witten sind die Berliner Gesundheitspolitiker davon überzeugt, daß zur Vielfalt des medizinischen Angebotes in der Stadt auch ein anthroposophisches Krankenhaus gehört. Als „Erweiterung“ der Schulmedizin bezeichnen die Anthroposophen selbst ihr Konzept. Zentral ist der ganzheitliche Ansatz. Der kranke Mensch soll als umfassende Persönlichkeit mit Körper, Seele und Geist in die Therapie einbezogen werden. Dabei werde aber in jedem Fall die notwendige medizinische Versorgung vorgenommen, betont Stickdorn. Die chirurgische Behandlung akuter Krankheiten beispielsweise ist für die Anthroposophen genauso selbstverständlich wie für Schulmediziner. Falsche Informationen über die Heilmethoden der anthroposophischen Medizin, die weitverbreitet sind, hatten dem Anliegen des Trägervereins geschadet.

In der anthroposophischen Medizin wird im Unterschied zur Schulmedizin nach den Krankheitsursachen in der Lebensgeschichte des einzelnen gefragt. Die Begriffe „Krankheit“ und „Gesundheit“ werden individuell am Menschen definiert. Krankheit ist demnach nicht nur ein Unglück oder ein Defekt, sondern sie bietet bei einer umfassenden Behandlung auch die Chance für eine biographische Weiterentwicklung. Künstlerische Therapien und Heileurhythmie gehören zur anthroposophischen Medizin selbstverständlich dazu.

Im Krankenhausalltag ist die gleichberechtigte Teamarbeit zwischen PflegerInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen wichtig. Die Räume in den anthroposophischen Kliniken sind künstlerisch ausgestaltet. Für den Patienten steht immer ein Ansprechpartner zur Verfügung. „Der personelle Mehraufwand, der mit diesem Konzept verbunden ist, führt aber keineswegs zu höheren Krankenhaussätzen“, betont Stickdorn. Denn durch die gezieltere und oft auch billigere medikamentöse Behandlung werde im Vergleich zum normalen Krankenhausbetrieb viel Geld gespart. Außerdem kommen die Zusatzeinkünfte durch Privatpatienten anders als in vielen anderen Krankenhäusern nicht vor allem den Chefärzten, sondern dem Gesamtbetrieb zugute.

Wenn das Krankenhaus Havelhöhe tatsächlich 1994 übernommen wird, könnte die erste anthroposophische Abteilung mit etwa 40 Betten voraussichtlich 1995 eröffnet werden. Noch ist die Übernahme aber nicht gesichert. Mitte September trafen sich Mitglieder des anthroposophischen Trägervereins, der Gesundheitsverwaltung und Angehörige der Klinikleitung Havelhöhe zu einem Beratungsgespräch. Dabei äußerten einige Klinikvertreter Bedenken, ob bei einer anthroposophischen Trägerschaft eine umfassende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Ob nicht dahinter die Befürchtung der Klinikleitung steht, bei einem Trägerwechsel an eine andere Stelle versetzt zu werden, und ob nicht auch die Chefärzte um ihre Sonderzuwendungen bangen, diese Fragen müßten noch gestellt werden. Aber auch von der übrigen Belegschaft können sich 90 Prozent nicht vorstellen, in einer antroposophischen Klinik zu arbeiten, schätzt der Vorsitzende des Personalrats im Krankenhaus Spandau, Ulrich Dombrowsky. Mit einem Bürgerbegehren wollen die Mitarbeiter erreichen, daß das Krankenhaus Havelhöhe in seiner jetzigen Form erhalten bleibt. Gegen den Willen der Belegschaft wollen die Anthroposophen das Krankenhaus nicht übernehmen. Gesundheitssenator Luther dagegen scheint entschlossen, die Sache im dritten Anlauf durchzuziehen. Er ist optimistisch, daß er die Belegschaft noch überzeugen kann: „Wir haben den Standortvorschlag nicht am grünen Tisch gemacht. Die Auseinandersetzung werden wir jetzt austragen und sehen, ob wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen.“ Anne-Kathrin Koppetsch