Betr.: Tokyo-Ballet in Berlin

Seit dreißig Jahren tourt das Tokyo-Ballet durch die Welt. Noch bis zum Monatsende gastiert es in Berlin und zeigt dort, im Rahmen der Festwochen, was ihm einen gewissen Ruhm eingetragen hat. George Balanchines „Sinfonie in C“ zum Beispiel oder Maurice Béjarts „Kabuki“. Béjart, der die enorme Disziplin dieses Ensembles zu schätzen weiß, durfte denn auch die Jubiläumschoreographie einstudieren. Unglücklicherweise glaubte er, diese Ehre mit einer Hommage an den Dichter Mishima begleichen zu sollen, den extremen Militaristen, der sich vor seinen Jüngern mit einem Samurai- Schwert rituellerweise selbst zu entleiben beliebte. Béjart reimt auf diesen Namen „Mythos“, „Meer“, oder „Mort“ und arrangiert dazu passende Klischees. Stellvertretend für die komplett fehlenden Gedanken zu einem möglichen ästhetischen Problem muß ein kleiner Junge als Mishima verkleidet auf der Bühne herumturnen; auch der Schwulenheilige Sebastian verirrt sich in diese fortgesetzte Anmaßung, die Höflichkeit vor den ja doch schwer arbeitenden japanischen Gästen verbietet die Erwähnung weiterer Gräßlichkeiten. Denn erstaunlicherweise gelingt es dem Tokyo-Ballet, vor allem seinem Solistenquartett, trotz alledem eine Vorstellung seines Könnens zu vermitteln. Weil Béjart es vorzog, zu Hause zu bleiben, war es sogar möglich, die vergebliche Mühe einer deutschen Erstaufführung mit ein bißchen Applaus zu bedenken. Niklaus Hablützel

Foto: Thomas Seufert/Sequenz