Antifaschistischer Schutzwall

■ Stadtchef Voscherau setzt auf Wirtschaftskonzepte aus der Mottenkiste / Die Grünen haben die moderneren Ansätze   Von Florian Marten

„Manchmal habe ich den Eindruck“, lächelt GAL-Verkehrsspezi Martin Schmidt, „der Bürgermeister hält die vierte Elbtunnelröhre für einen antifaschistischen Schutzwall.“ Stadtchef Voscherau glaubt nicht erst seit der Wahlnacht an die Notwendigkeit einer wirtschaftspolitischen Offensive für Hamburg. Durch Verbesserungen der Verkehrswege, eine wirtschaftsfreundliche Flächenpolitik und die gezielte Förderung spezieller Branchen sollen „die kleinen Leute“ mit Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen beglückt, von rechtsradiaklen Parteien zurückgewonnen und die politische Glaubwürdigkeits-Krise wirksam bekämpft werden.

Die Vertiefung der Unterelbe, die Hafenerweiterung in Altenwerder, der Bau der 4. Elbtunnelröhre, eine Autobahntrasse für die Deutsche Airbus und der Ausbau des Flughafens inklusive Stadtautobahnen stehen dabei für Voscherau ganz oben auf der Liste. Optimistisch ist er auch in Sachen Finanzierung der mehrere Milliarden Mark teuren Projekte: Für die Hafenerweiterung soll die stadteigene HHLA teilprivatisiert werden. Die Elbtunnelröhre dürfen deutsche Banken vorfinanzieren, die Bundeskasse bürgt. Die Kosten trägt auch so der Steuerzahler, „Hamburg aber“, so jubelt Voscherau, „zahlt keinen Pfennig“.

Der Bürgermeister dürfte sich irren. Beispiel Elbtunnel: Würde mit dem Bau der 4. Röhre, wie derzeit von der Baubehörde geplant, im November 1994 begonnen, wäre das gute Stück erst nach der Jahrtausendwende fertig. In der Zwischenzeit würden die Staus länger und länger. Diese wirtschaftsfeindliche Tristesse wäre auch mit der Inbetriebnahme der Röhre nicht zu Ende: Für eine Zeitlang nähmen die Staus vielleicht etwas ab. Die zusätzliche Kapazität reicht aber keineswegs aus, um die heute schon prognostizierten Verkehrszuwächse zu bewältigen. Schlimmer noch: Nach Eröffnung der 4. Röhre würden die Probleme vor und hinter dem verbreiterten Tunnel gigantisch wachsen – vor allem auf Hamburger Gebiet.

Die Grünen sehen das Problem, wollen aber nicht nachvollziehen, warum 500 bis 1000 Millionen Mark für ein Projekt eingesetzt werden, welches das Problem voraussichtlich nur verschlimmert. Das grüne Konzept: Sonderspuren und intelligente Leitsysteme zur Bevorrechtigung des Transit-, Wirtschafts- und Öffentlichen Verkehrs, Verlagerung von Teilen des Güterverkehrs auf die Schiene und eine gezielte Strategie zum Umstieg von Berufspendlern: Moderne Verkehrsplanung anstelle der traditionellen Bauorgien.

Beispiel Bürohaus-Crash: Selbst führende SPD-PolitikerInnen bezeichnen das aktuelle Hamburger Bürohausdesaster als schweren wirtschaftspolitischen Fehler. Schon heute purzeln die Büromieten, während immer neue Türme in den Himmel schießen. Spätestens 1995, so warnen Immobilienexperten, droht Hamburg ein Immobiliencrash. Der aber hätte negative Auswirkungen auf das gesamte Wirtschaftsklima. Die Grünen hatten schon vor Jahren vor den Bürowüsteneien-Gefahren gewarnt und Mischkonzepte mit Wohnungen, Büros und Gewerbe gefordert, wie sie seit einigen Jahren Sachstand moderner Metropolenpolitik sind. Heute steuert Hamburg millimeterweise um, nach einem Kurs, den die Grünen viel früher nannten.

Beispiel Wohnungsbau: Hamburgs SozialdemokratInnen sind stolz auf die erhebliche Ausweitung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Ein Gutteil ihrer eigenen ExpertInnen räumt inzwischen im kleinen Kreis jedoch ein, daß die aktuelle Form dieses Wohnungsbaus unbezahlbar, nicht sozialverträglich und schlicht perspektivlos sei. Ganz im Einklang mit den grünen Forderungen zum Wohnungsbau (Nachverdichtung, Einbeziehung der Mieter, neue Finanzierungsformen) raten sie, die wenigen positiven Hamburger Ausnahmen (Steg, Stattbau) erheblich auszuweiten.

Beispiel Hafenpolitik: Während auch wirtschaftspolitische Vordenker in der SPD schon längst errechnet haben, daß die Unterelbe-Vertiefung ökonomischer Unfug ist, scheiden sich an Altenwerder die Geister – auch der Fachleute. Fest steht jedoch, daß dieses Thema eher mit den Kategorien der Bodenspekulation begriffen werden muß als mit Container-Sachzwang. Der Streit um Altenwerder überdeckt derzeit jedoch jene revolutionären marktwirtschaftlichen Vorschläge, mit welchen die Grünen die verkrusteten, übersubventionierten und ineffizienten Hafenstrukturen aufbrechen möchte. Der GAL-Vorschlag, die Hafenverwaltung rechtlich zu verselbständigen und zu kaufmännischer Buchführung zu verpflichten, würde den Hafen regelrecht aufmischen, einen nachhaltigen Modernisierungs- und Effizienzschub auslösen – die Stadtkasse würde erheblich profitieren.

Natürlich ist diese Planungs- und Maßnahmenkultur keine Erfindung der Grünen. Sie wird in Teilbereichen der SPD-Politik bereits verwirklicht. Der Herausforderung, mit diesen Ansätzen auch Großprojekte zu hinterfragen und sie in viel breiterem Umfang zu verwirklichen, verweigert sich die Hamburger Politik jedoch bis heute. „Dabei“, so Krista Sager, „können erfolglose Großprojekte, eine falsch gestrickte Wirtschaftspolitik und ineffizientes staatliches Handeln gerade jenen Politikfrust mit all seinen Folgen erzeugen, den der Bürgermeister so fürchtet.“