Quillende Qualen

■ Mit feinem Humor meisterte Stephan Müller „Mütter und Söhne“ von Javier Tomeo im Malersaal

Ihr Karma ist die Hänselei, ihr Stigma, daß jeder „es“ sofort erkennt. Muttersöhnchen haben nicht viel zu lachen im Leben, darum lacht es sich auf der Bühne so gut über sie. Ihr elektrolytisches Antipathie-Erzeugungsverfahren basiert auf den Gegenpolen mitleiderregender Schwäche und penetranten Prinzipien der Rechthaberei, ihre wenigen Freunde sind selbst Muttersöhnchen und wenn sie viel an sich arbeiten, erringen sie immerhin die Weihen der Schrulligkeit. Wilder kann man vor den nach Beute spähenden Augen der Satire eigentlich nicht mehr gestikulieren.

Sich aber von dieser offenkundigen Reichhaltigkeit des Materials nicht dazu verführen zu lassen, als Lakai billigen Plattheiten zu dienen, das ist wiederum eine Kunst. Diese beherrschen Javier Tomeo (Roman-Autor), Felix Prader (Bühnen-Adapteur) und Stephan Müller (Regisseur), denen wir die gleichzeitig amüsante und doch fein gezeichnete Bühnenversion von Mütter und Söhne verdanken, die Frank Baumbauer von Basel mit nach Hamburg gebracht hat, wo sie am Freitag im Malersaal Premiere hatte. Peter Jeklin und Bernhard Schütz tun das Übrige, um das einstündige, etwas andere Einstellungsgespräch, um das es hier geht, zu einer launigen und scharfen Komödie zu erheben.

Juan ist dreißig Jahre alt, lebt bei seiner Mutter und hat nach ihrem Willen noch nie gearbeitet. Sein Befreiungsschlag aus der häuslichen Umklammerung führt ihn zum Personalchef einer Bank, Berufswunsch: Nachtwächter. Schon mit seinem dritten Satz kommt er auf sein Problem. Sein Gegenüber bekundet sofort Interesse, lutscht ihn, versteckt hinter der Haltung des kalten Pragmatikers, nach Einzelheiten aus, um schließlich sein eigenes Mutterproblem zu offenbaren. Begeistert und entflammt von dem eigenen Leid, gespiegelt in der Oberfläche der jeweils anderen Verlorenheit, schnappen die Verschlüsse der Verlegenheiten auf und es entquillt ihnen das Innerste an Sentimentalitäten und Seelenqualen.

Gnadenlos wechseln Mut und Feigheit, überlegene Demonstrationen und ekelhafte Unterwürfigkeit zwischen den Männern, die sich ihre Ähnlichkeit aber nur in der Ekstase erklären können. Als alle Geheimnisse ausgetauscht oder entschlüsselt sind, kehren die offengelegten Kränkungen hinter die geschäftsmäßige Fassade zurück und katapultieren den Schwächeren hinaus.

Gemeinen Witz und schamlose Bloßstellungen umgeht Müller mit einer Genauigkeit in der Personenführung, die die Satire in die Form des Realen einpaßt. Er denunziert die Fehler nicht, fischt nie mit Karikaturen nach Brüllern sondern beschränkt sich auf die tragische Komik des alltäglichen Theaters. So entwickelt sich ein geradezu gütiger Humor, durchwachsen mit feiner Weisheit, wie er Hamburgs schriller Kalauer-Kultur auch anderorts mehr als gut täte.

Till Briegleb