Massenveranstaltung für Szeneasten

■ Zahlen und Tendenzen zum 29. Deutschen Turnfest / Das Ereignis beginnt in 72 Tagen

Im Mai wird's voll in Hamburg. 95.000 Namen füllen bereits die Meldelisten für das weltweit siebtgrößte Breitensportfest seit 1860. Vom 15. bis 22. Mai findet zwischen St. Pauli und Poppenbüttel, Blankenese und Bergedorf das 29. Deutsche Turnfest statt.

Hätten Sie's gewußt? Nein? Kein Wunder:

Beim Turnfest handelt es sich, wie beim Kirchentag, um das Kuriosum einer Massenveranstaltung für Szeneasten. Nichtinvolvierte können oft wenig anfangen mit der durch militaristische Gleichförmigkeit geprägten Ästhetik der Turnfest-Aufmärsche. Einer Ästhetik, die sich nahtlos in das Propagandakonzept der Nationalsozialisten einfügen ließ. Es ist sicher kein Zufall, daß das Stuttgarter Turnfest von 1933 mit 600 000 Aktiven noch heute den Spitzenplatz in der TeilnehmerInnenskala einnimmt.

Unabhängig von den Turnfesten hat sich im Bereich der „Leibesübungen mit und ohne Geräte, die eine harmonische Körperbildung des Menschen zum Zweck haben“ (–Turnvater– Friedrich Ludwig Jahn), einiges getan. So steht der in Hamburg ansässige Verband für Turnen und Freizeit (VTF) bundesweit für innovatives, modernes Turnen. Seit geraumer Zeit schon beinhaltet das Fortbildungsprogramm des VTF Kurse für Vereins-ÜbungsleiterInnen in neuen Bewegungsbereichen wie Wendo, einer Selbstverteidigungsvariante von Frauen für Frauen. Auch in der Ausbildung zum Erwerb beispielsweise der Lizenz für das Anleiten von Kinderturnen geht es nicht mehr um das Anstehen in Riegen sondern um das Erkunden von Bewegungslandschaften. Viele dieser Neuerungen wurden in das Programm des diesjährigen Turnfestes integriert, ob traditionell eingestellte TeilnehmerInnen damit etwas anfangen wollen, bleibt abzuwarten.

Die quantitative Bilanz sieht bisher jedenfalls recht gut aus. „Wir werden mit den Wochenend- und Tagesbesuchern sicherlich auf 100.000 Teilnehmer kommen“, zeigte sich Generalsekretär Hans Jürgen Schulke vom Organisa-tionskomitee des Mai-Turnfestes am Donnerstag optimistisch. Differenzierter heißt das: 61 Prozent der Aktiven sind Frauen, nur 39 Prozent männlich. Über 50 Jahre alt sind 28 Prozent der BesucherInnen, aber nur 25,5 Prozent unter 18 Jahren. „Die Zahl der Jugendlichen ist geringer als erwartet. Darüber muß für die Zukunft nachgedacht werden“, erklärte Hans Jürgen Schulke weiter.

Aus den neuen Bundesländern zeigten trotz einer Finanzspritze des Hamburger Bürgermeisters Henning Voscherau in Höhe von 100.000 Mark nur 4500 Turner und Turnerinnen Interesse. Auch von den über 400 Vereinen der Hansestadt haben bisher erst 63 ihre Teilnahme gemeldet.

Der Untertitel des Turnfest-Mottos „Wo Sport Spaß macht“ lautet „Mitmachen, genießen, lernen“. So wurden 16.000 BallspielerInnen registriert, für das Vereinsturnen – ein in der ehemaligen DDR kreierter vielseitiger Gerätewettkampf – gingen 4000 und für die Workshops 6000 Meldungen ein. „Der Trend geht eindeutig zu Schau, Unterhaltung und Erlebnis und weniger zu den harten Wettkämpfen“, verriet Schulke, „denn einige Galas sind schon überbucht, bei den Deutschen Meisterschaften im Turnen und in der Gymnastik hingegen ist noch Platz.“

Das 22,6 Millionen Mark-Spektakel finanzieren die Aktiven mit 15 Millionen Mark zu zwei Drittel selbst; der Turnfest-Beitrag für Erwachsene beträgt 100, für Jugendliche 70 Mark. Bund und Land geben knapp sechs und die 25 Sponsoren knapp zwei Millionen Mark.

Claudia Thomsen