■ Filmstarts à la carte: Von Leidenschaften und anderen Geistesverfassungen
Welche Grundeigenschaften braucht man zum Filmemachen? „Zuerst einmal braucht man Leidenschaft. Sie hilft einem durchzuhalten. Das zweite ist Ausdauer. Leidenschaft stärkt die Ausdauer. Komischerweise bin ich schon vor langer Zeit zu dem Schluß gekommen, daß Ausdauer in dieser siebenten Kunst wichtiger ist als Talent. Und zwar während der ganzen Zeit. Man muß die gesamte Zeit für die Integrität einer Idee kämpfen, die einem so am Herzen liegt. Für dieses Modell, das man im Kopf hat. Es gibt viele Leute, die wunderschöne Vorstellungen haben. Aber sie können sie anderen nicht vermitteln. Wie viele Leute trifft man, die riesige Ideen für Drehbücher und Filme haben. Wie erreicht man, daß die anderen alles so sehen, wie man es selbst im Kopf hat? Man braucht viele Menschen dafür beim Film. Es gibt viele Probleme während der Vorbereitungszeit, beim Drehen und in der Phase nach Produktionsende. Da vertauschen sie dann noch die Rollen in der Projektion und bringen alles durcheinander. Man braucht Ausdauer. Es erfordert eine unglaubliche Kraft, gegen alle zu kämpfen. Gegen jedes Individuum. Sie sind nicht deine Feinde, aber sie haben andere Vorstellungen.“ Roman Polanski am 23. März 1986 im Interview mit Christa Maerker, dabei noch Tee kochend. Das Ergebnis seiner Ausdauer kann ab heute im Balázs begutachtet werden. Das Haus der Ungarn zeigt einen Monat lang eine ausführliche Retrospektive der Polanski-Filme. Neben unverwüstlichen Klassikern wie „Ekel“, „Der Mieter“, „Chinatown“ und „Wenn Katelbach kommt ...“ zeigt das Balázs dankenswerterweise auch die selten vorgeführten Kurzfilme, die fast alle in der Filmhochschule Lodź entstanden sind.
In der Filmreihe „... sie würden uns gern im Knast begraben“ – Stadtguerilla, RAF, Stammheim im Stattkino Berlin gibt es geteilte Qualität zu bewundern. Neben betulich daherkommenden Dokumentationen, die sich als „wichtige Beiträge zur Geschichtsaneignung“ empfehlen, wie zum Beispiel Sie würden uns gerne im Knast begraben der Gruppe 2 – wehende rote Fahnen, südamerikanische Revolutionslieder, Betroffenenlyrik etc. – kann sich der Geschichtsunkundige auch Deutschland im Herbst zu Gemüte führen. Der Versuch von illustren Filmschaffenden wie Kluge, Fassbinder, Reitz und – jawoll – Heinrich Böll, Situationen und Stimmungen in der Bundesrepublik nach der Schleyer-Entführung und dem Tod von Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim im Herbst 1977 einzufangen. Fassbinder macht den Anfang: Schniefend, schnaufend und effektvoll den Rotz hochziehend gibt er eine befremdliche Inszenierung von Männerleiden. Die sensible Künstlerseele leidet hysterisch unter den angespannten Verhältnissen nach der Ermordung Schleyers. Gequält über der Arbeit sitzend, sich immer wieder stöhnend imaginären Schweiß von der Stirn wischend, springt er beim Ertönen einer Polizeisirene wie angestochen hoch, um panisch ein Pfund Koks ins Klo zu schütten. Befreiung findet er im Niedermachen seiner Mutter, die zaghaft anregt, die Terroristen doch einfach zu erschießen. Inquisitorisch wie eine Reinkarnation von Torquemada geißelt er daraufhin ihr Verständnis von Demokratie: „Du meinst also, wenn einer was falsch macht, dann darf der andere das auch falsch machen?“ Funkel, funkel. „Insgesamt ein authentischer Reflex deutscher Geistesverfassung in der Krise“ urteilt das Lexikon des Internationalen Films trocken. Außerdem im Programm: Stammheim - der Prozeß von Reinhard Hauff, Auf Leben und Tod – eine Dokumentation der Spiegelbesetzung 1981 und Volker Schlöndorffs Die verlorene Ehre der Katharina Blum u.a.Anja Seeliger
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