Arme Würstchen haufenweise

■ Was tun, wenn der Staatsanwalt im Stau steckt, der Co-Angeklagte sich verflüchtigt und der Richter die Akte vergessen hat? Von Kaija Kutter

Eigentlich sollte es gestern früh im Harburger Amtsgericht um Parkuhren gehen. Ein Thema, das die zuständige Baubehörde sehr beschäftigt, wurden doch im ersten Quartal dieses Jahres fast die Hälfte der 8900 Hamburger Parkuhren aufgebrochen und unbenutzbar gemacht. Erst nachdem man aufgab, die Münzfresser zu reparieren, haben die Polizeiwachen weniger Arbeit mit diesem Delikt.

Künftig werden deshalb in Hamburg nur noch New-York-erprobte Panzeruhren (Stückpreis 700 Mark) aufgestellt. Oder dort, wo mehrere Parkuhren eine übersichtliche Gruppe bilden, diese durch Parkscheinautomaten ersetzt (vor Knöllchen schützt freilich auch eine aufgeknackte Parkuhr nicht, die PKW-Halter sind angehalten, eine Parkscheibe zu benutzen).

Der gestrige Fall stammt aus der Hochzeit des Parkuhrknackens, August 1993. Der Frührentner Gustav H. hatte sich damals extra auf dem Wohnzimmersessel kniend ans Fenster gehockt, um die Parkuhren der Harburger Rathausstraße auch nachts vor Dieben zu bewachen. Doch bevor wir die Aussage des einzigen Augenzeugen zu hören bekamen, erheiterte Richter Ulf P. das Publikum. Er hatte die Prozeßakte zu Hause auf dem Schreibtisch gelassen. Staatsanwalt Axel S. konnte nicht helfen, er steckte zu Prozeßbeginn im Harburger Stau. Auch der Co-Angeklagte, der 23jährige D., fehlte. Er hatte sich just aus dem UG verflüchtigt.

Erst als der Verteidiger von Stanko G., dem zweiten Angeklagten, dem Richter seine Akte lieh, kam etwas Klarheit auf. Immerhin soweit, daß der 29jährige Stanko G. aus Mazedonien stammt, abgelehnter Asylbewerber ist und wegen falscher Personalangabe, Fahren ohne Führerschein und wegen Diebstahl bereits seit September 1993 ununterbrochen in Haft sitzt – und somit ein armes Würstchen ist. Die Gefängniswärter führten ihn an klobigen Handschellen herein.

G. soll zusammen mit zwei Kumpels an besagter Harburger Rathausstraße 16 Parkuhren mit einem Nachschlüssel geöffnet und das darin befindliche Silbergeld – je rund 400 Mark – geklaut haben. „Ich habe dies nicht gemacht“, übersetzte die Dolmetscherin die Worte des Angeklagten, dessen ballonseidener Jogginganzug an sein derzeitiges Zuhause erinnerte. Nach eigenen Angaben trug er an besagtem Tag ein schwarzes T-Shirt und Jeans.

Doch Zeuge Gustav H. zog ihm in seiner Erinnerung eine rote Jacke an und machte ihn zehn Zentimeter kleiner. Dessen in sich schlüssige Aussage— er hatte vier Männer beobachtet, die aus einem roten PKW stiegen, unter seinem Fenster Parkuhren knackten und flüchteten, als ein Peterwagen kam – reichte denn auch Richter P. nicht zur Verurteilung aus. Zwar observierte die pfiffige Polizei das rote Auto und nahm alle Personen fest, die eine dreiviertel Stunde später wieder einstiegen. Aber es könnte ja auch so sein, wie Stanko G. berichtet, daß er nichtsahnend ins Auto eines Freundes stieg, um seine Schwester vom Bahnhof abzuholen. Das Verfahren wurde eingestellt.