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■ Filmstarts à la carteWe ain't the Cosbys!

Wenn dieser Tage Chris Markers Sans Soleil wiederaufgeführt wird, wirkt das, als würde man eine Geige in einem Blasorchester verstecken. Auf die Gefahr hin, daß er überhört wird: Marker, dessen wirklichen Namen kaum jemand kennt und dessen Pseudonym sich, wenngleich französisch ausgesprochen, durchaus auf den bekannten Filzstift bezieht, hat hier eine filmische Flaschenpost verschickt. Aus aller Herren Gegenden der Welt hat er gefilmte Postkarten an seine Liebste geschickt, die man ab und an lesen sieht. Es ist ein Marcel-Proust-artiges Unterfangen: seine Begegnungen sind zu ephemer, um ihnen einen Nenner zu verpassen, und zu bedeutsam, sie für sich zu behalten. Was er beobachtet, sehen nur Leute, die auf bescheidenen Weise melancholisch sind: das kurze Gebet einer Einkäuferin in Japan, Rinnsteine in Algier, Straßenfabeln aus Tunesien. Aufgemerkt: Mitunter ist Sans Soleil auch in Freilichtkinos zu sehen, und das ist ein Sommersglück, das man sich nun wirklich nicht entgehen lassen sollte.

Immer wieder fallen die Tilsiter Lichtspiele durch eine angenehm informierte Programmgestaltung auf: Heute (Donnerstag) abend zum Beispiel wird dort die aparte Zusammenstellung einiger Jahrmarktsfilme gezeigt: La Strada, 8 1/2 und Kusturicas Time of the Gypsies. Es geht nicht allein um Glanz und Elend des Schaustellerbusiness (obwohl durchaus auch), es geht um das Karnevaleske als Phänomen. In Europa hieß Vaudeville immer schon eher Grand Guignol, hieß Aggression, Ungestüm, geübtes Fabulieren; auch kommt es oft zu Todesfällen.mn

Zwei Hauptdarsteller, die sich in überaus beliebten Comedy-Serien hervorgetan haben; einer davon hat als Rapper schon einen Grammy gewonnen; ein Regisseur, der zwar noch keinen Spielfilm gedreht hat, aber dafür in der Schubkarre die Preise für Musik- videos und Werbeclips (so in der Kategorie „Beste Bier-Kampagne“ in Cannes) nach Hause karrte; Drehbuchschreiber, die ihre Meriten bisher hauptsächlich als Autoren für die „Late Show“ von David Letterman verdient haben; ein Soundtrack voller erfolgreichem HipHop von Warren G. bis 69 Boyz; ein Basketballstar in einer Nebenrolle; und die Produzenten von „Beverly Hills Cop“, „Top Gun“ oder „Flashdance“ nehmen sich dieser Voraussetzungen an. Dieser Kassenknacker heißt „Bad Boys“, durchschlug in den USA bereits die 50-Millionen-Dollar-Barriere und wirkt wie der Pilotfilm für eine neue Comedy, nur daß mehr Außenaufnahmen und Pyrotechnik zum Einsatz kommen als zum Beispiel in „Der Prinz von Bel Air“, wo Will Smith sonst sich selbst, den Rapper Fresh Prince, darstellt. Smith und Martin Lawrence, als Produzent und Hauptdarsteller der Comedy „Martin“ ebenfalls preisüberschüttet, schlagen sich als Bullenpärchen mit High-Tech-Drogen-Gangstern und durch musikunterlegte Zeitlupen, keuchen unter Dauerbeschuß murphyeske Dialoge voller unflätiger Wörter und sind nicht nett zu Mutterfickern. Einige nette Witze („We ain't the Cosbys“) fehlen ebensowenig wie fröhliche Seitenhiebe („Don't be alarmed, we're negroes“). Ein harmloser Spaß für einen Abend, an dem man sich nun wirklich gar nichts zumuten möchte.to

Allen Freunden des jiddischen Kinos sei noch Uncle Moses ans Herz gelegt, die Geschichte eines amerikanischen Allrightnik, der aus Polen eine Truppe von Arbeitern nach Brooklyn geführt hat wie sein Namensvetter aus ägyptischer Knechtschaft. Fatal: Ihm bleibt im Kapitalismus nichts anderes übrig, als ebenfalls Sklaventreiber zu werden.mn

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