: Echt durchgeknallt
■ Junge Avantgarde-Modedesigner in Berlin, 3. Teil: IM Waircraft verpacken Luxusfleisch in Recycling-Space-Outfits
Patrick Stadter und Wilfried Pletzinger, 27 und 32 Jahre alt und beide Absolventen der Berufsfachrichtung Modedesign am Berliner Lette- Verein. Erst seit Anfang diesen Jahres arbeiten sie gemeinsam unter ihrem Markenzeichen „IM Waircraft“. Der Labelname – ein Wortspiel aus „wear“ (tragen) und „air“ (Luft) – ist gleichzeitig Programm. Das auf den Label-Etiketten eingearbeitete Symbol ist – was auch sonst? – eine fliegende Untertasse.
Inspiriert durch die Kostüme von Captain Kirk und Leutnant O'Hara, versuchen Pletzinger und Stadter, ihrer Damenmode einen „futuristischen und aerodynamischen“ Touch zu verleihen. Ihre uneingeschränkte Bewunderung gilt dabei dem ausgeflippten Pariser Modemacher Thierry Mugler, der ebenfalls mit futuristischen Elementen in seinen Kollektionen experimentiert.
Wulstige Außennähte – „im Grunde genommen total out“ – zeichnen die Knochenstruktur der TrägerIn nach: Knochen, Gelenke, Muskeln – die beweglichen Punkte der menschlichen Anatomie werden auf den hautengen Overalls (Catsuits) aus hauchzartem Synthetikstoff sichtbar gemacht. „Das demonstriert Dynamik“, erklärt Pletzinger.
Ursprünglich haben sich IM Waircraft, wie Next G+U+R+U Now und Pfefferkorn dem Recycling-Design verpflichtet. Die Verwendung von benutzten Materialien wie abgetragenen Sportnetzhemden, Damenunterwäsche und anderen Flohmarktartikeln resultiert für IM Waircraft jedoch nicht nur aus der Faszination von dem „gelebten Material“, wie die anderen DesignerInnen so gerne betonen. Bei ihnen hat die Secondhandware eine durchaus ethische und politische Komponente.
Sie wollen ihre Mode als eine kritische Stellungnahme zur heutigen Wegwerfgesellschaft verstanden wissen. „Es gibt schließlich so viele Klamotten, aus denen man wieder etwas vollkommen Neues schaffen kann“, begründet Pletzinger seinen Anspruch. „Gebrauchte Materialien sind für mich keineswegs schlechter als fabrikneue. Wenn wir mal auf andere Stoffe zurückgreifen müssen, krieg' ich direkt ein komisches Gefühl.“
Das Ergebnis von IM Waircrafts phantastischen Entwürfen kann mit Fug und Recht als ziemlich durchgeknallt bezeichnet werden. Auf den Berliner Straßen dürfte man jedenfalls kaum damit konfrontiert werden. Bestes Beispiel: die gigantischen, kniehohen Moonboots, die dem Träger – anders als die konventionellen Fußwärmmodelle aus dem Sportgeschäft – in der Tat ein ungefähres Gefühl davon vermitteln, wie es sich anfühlen könnte, auf dem Mond zu spazieren. Oder zumindest auf Watte. Denn die Grundsubstanz der Stiefel besteht aus nichts anderem als Schaumstoff.
Ebenso bemerkenswert ist die „Luxusfleischkollektion“, für die Damenmieder oder hautfarbene Herrenfrotteeslips – in unbearbeitetem Zustand ein Graus! – auseinandergetrennt und mit anderen Stoffen zu superkurzen Kleidern mit eingearbeiteten Slips, Bustiers oder Röcken vernäht werden. Ohnehin scheinen die beiden Weltraumfreaks den Sex für die Mode der neunziger Jahre neu erfunden zu haben. So bekamen sie beispielsweise auf der letzten AVE- Modemesse im Januar ernsthafte Schwierigkeiten mit den professionellen Models, weil die sich weigerten, die nahezu durchsichtigen, bereits oben erwähnten Catsuits zu präsentieren. „Wir mußten mit Engelszungen auf sie einreden“, klagt Pletzinger noch heute. „Die Amateurinnen, die wir bei der Chromapark-Modenschau im E-Werk aus dem Publikum auf den Laufsteg geholt haben, waren da deutlich lockerer...“
Einladungen zur AVE, Präsentationen bei Record-Release-Parties und anderen eher subkulturellen Modeveranstaltungen in der Clubszene helfen den beiden Jungdesignern, ihr Label bekannt zu machen. Doch trotz aller kreativen Energie kann sich das Duo mit Entwerfen und Schneidern allein bislang noch nicht über Wasser halten. „Die Berliner sind eben einfach nicht bereit, Geld für innovative Mode auszugeben. Wahrscheinlich ist das Interesse hier ohnehin gering“, erklären sie sich die Marktflaute.
Um ihre Kollektionen vorfinanzieren zu können, arbeiten sie an ein paar Abenden in der Woche in Cafés oder veranstalten Schnittkurse in ihrem Kreuzberger Atelier. Ein Überlebensprogramm, das sie mit den meisten Jungdesignern teilen. Kirsten Niemann
Kontakt: IM Waircraft, Telefon: 6925519
Teil 1 unserer Serie stellte Next G+U+R+U Now vor (taz vom 9./ 10.9.), Teil 2 Jörg Pfefferkorn (taz vom 21.9.)
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