Schrecken auf der Strecke

■ Kampnagel: Therese Affolter las Elfriede Jelineks „Lust“

Wie Nachrichten von einem anderen Stern wirkte das, was Therese Affolter am Sonnabend auf Kampnagel morste, als sie Elfriede Jelineks Roman-Schocker und Anti-Porno Lust las. Zusätzlich verschlüsselt durch einen Sprachgebrauch, der sich in barocken Schnörkeln und zuweilen treffenden Sprachspielen manifestiert. Unterstützt wurde der Entfremdungseffekt durch den lebhaften, bisweilen gar humoristischen Vortrag der Burgschauspielerin.

Eine Hausfrauenehe im Fabrikantenmilieu mit patriarchalischen Machtstrukturen? Wer im Publikum mag diese Verhältnisse aus der Innenperspektive kennen? Terra incognita auf der sich Schreckliches abspielt. Eine Dauervergewaltigung der Frau durch den Mann, die durch die ewiggleichen Sex-Praktiken nur unerträglicher wird. Selbst ein Ausbruchsversuch endet in einer Vergewaltigung, wenn auch nur durch den mentalen Vorsatz des Liebhabers. Als Ausweg bleibt nur der Tod. Stellvertretend für sich tötet die Frau ihr Kind.

Damit diese unschöne Geschichte aber nicht ins dramatische abrutscht und gar jemanden erschreckt, wird sie in originelle Wendungen verpackt: „Der Tag neigt sich – Neigung stellt sich ein“, oder „...wie ein Acker bestellt aber nicht geliefert.“

Gut auch, daß die Frau in diesem Text nur Objekt der Männer ist, die sie beliebig manipulieren. Aber auch die Autorin interessiert sich für die Frau nicht als Subjekt. Die denkt nichts, die empfindet nichts, die leidet und reagiert. So entsteht eine angenehme Distanz zu dem, was der Text uns mitteilen könnte.

Zu dem originellen Sprachgebrauch des Textes paßt der freundliche Vortrag. Mit lebhaften Gesten und intensiver Mimik wird das Gräßliche vorgetragen. Doch dabei bleibt der Schrecken auf der Strecke. Diese Ehe, das ist eine Existenz auf einem anderen Stern – aber leben möchte man da nicht.

Iris Schneider