QUERBILD Beim nächsten Kuß knall ich ihn nieder

Er sitzt – ein eleganter Beau mit grauen Schläfen – vor der Nazi-Scherge, die über Wohl oder Wehe seines Filmprojekts bestimmt und ist kein Bittsteller. Da kann der Bürokrat ihn noch so mahnen, den Bogen nicht zu überspannen: Reinhold Schünzel (genial: Peter Fitz) überspannt den Bogen gut und gern. Er hat es jahrelang gemacht, er hat Routine – und er ist so beliebt, seiner selbst so sicher, daß er keine Bedrohung für sich spürt. „Viel Sahne, wenn ich bitten darf, und drei Stückchen Zucker“, verlangt er zum Kaffee, und schon sein Lächeln ist von einer solchen gepflegt-ironischen Impertinenz, daß es nach Gefängnisstrafen nur so ruft.

Ein Hasardeur, ein Spieler, ein Frechling sondergleichen war der echte Reinhold Schünzel, dessen Mutter den Mädchennamen Israel trug, und den die Nazis doch, jedenfalls für einige Jahre, mit der zweifelhaften Auszeichnung des „Ehrenariers“ gewähren ließen. Zwischen 1918 und 1941 hat er 47 Stumm- und Tonfilme inszeniert und in unzähligen Streifen von Größen wie Carl Froelich, Ernst Lubitsch, Conrad Veidt und im Exil dann Fritz Lang, Hitchcock oder Mankiewicz als Schauspieler gewirkt. Er gehörte zu den Pionieren, die den Film als Medium in Deutschland etablierten, drehte allein im Jahr 1916 als Darsteller in zwölf Filmen – eine Größe, ein Superstar in den Jahren von Henny Porten und Asta Nielsen.

Heute bliebe der 1888 in St. Pauli geborene Schünzel so vergessen wie seine Filme – wäre da nicht der Hamburger Filmemacher und Regisseur H.C. Blumenberg. Blumenberg trug sich lange mit der Idee einer Filmbiographie dieses Filmers, der seinen Zenith in der Nazizeit erreichte, als er leichte, frivole Komödien drehte, die später in ihrem Gestus mit Lubitsch verglichen wurden.

Kein Dokumentarfilm sollte es werden, sondern ein Porträt eines Schünzel, der zur eigenen Spielfilm-Figur Blumenbergs wurde. Das ist gelungen: Peter Fitz (Foto) als süffisantem Charmeur ist diese Rolle sichtlich auf den Leib geschneidert – und er brilliert darin so, daß das Zusehen die reine Freude ist.

Ausschließlich an Hamburger Schauplätzen, und mit einem kleinen Budget gedreht, verfolgt Beim nächsten Kuß knall ich ihn nieder (nur wer sich den Abspann im Kino ansieht, erlebt die Quelle dieses Zitats!). Von Berlin-Babelsberg nach Amerika, das Schünzel dann doch aufsuchen mußte, nachdem er 1937 fast verhaftet worden wäre. Mit seinem genialen Drehbuch und der hochkarätigen Besetzung (ein wunderbares Intermezzo liefert Martin Benrath als Thomas Mann) fiel es Blumenberg nicht schwer, ein witziges, spannendes Porträt eines facettenreichen Opportunisten in wirren Zeiten zu schaffen: einen stringenten und sehr unterhaltsamen Kunstfilm über eine höchst sympathische Kunstfigur.

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Abaton, Alabama