: Bibeltreue macht erfinderisch
■ Patrick Roth liest im Literaturhaus aus seinem Jesus-Roman Corpus Christi
Dieser Autor pokert hoch. Er will gläubiger Christ und ambitionierter Literat in einem sein. Er hat in seinen Büchern Jesus selbst am Wickel, und möchte auch noch theologisch korrekt sein. Die Marschroute ist vorgezeichnet: Die Botschaft Christi sollte alle irdischen Probleme wenn nicht lösen, so doch überdecken, und die Facts der neutestamentarischen Überlieferung dürfen nicht der Ironie überantwortet werden. Da kann der Rezensent nur raten: Laß lieber die Finger davon. Roth meint es ernst damit, nicht blasphemisch schreiben zu wollen. Die Jesus Story erhält durch Roths narrativen Beziehungsreichtum, in dem alles in allem verwoben scheint, ein neues Gewand, bleibt als Geschichte aber die gleiche. In keinem Satz soll der Wahrhaftigkeit Christi, Fundament jedes Glaubensbekenntnisses, zuwidergehandelt werden. Das Ergebnis dieses literarischen Spagats ist, daß hölzern und inbrünstig zugleich erzählt wird und dabei Versatzstücke der Psychoanalyse und des Krimi-Genres nicht zu kurz kommen.
Patrick Roth, in Freiburg geboren und seit Jahren in Kalifornien lebend, wird als literarischer Reformator keine Leser zum christlichen Glauben bekehren können. Daß er für Suhrkamp, einen ausgewiesen nicht theologischen Verlag, schreibt, könnte ein Indiz dafür sein, daß er das auch nicht will. Nun ist der dritte Teil seiner Christus-Trilogie erschienen: Corpus Christi. Bereits im 1. Teil der Trilogie, Riverside, wird polemisch zwei Pilgern die Allianz von Schrift und Unglaube an den Kopf geworfen. Sie reisen im Auftrag von „Thomas“, suchen nach Material für ein Buch über das Leben Jesu. In einer Kalksteinhöhle treffen sie auf Diastasimos, der Jesus am eigenen Leib erfahren haben soll. Der Interviewte verließ Dorf und Familie, als er bei der mogendlichen Waschung seinen Hautaussatz bemerkte. Als er später beobachtet, wie Judas Jesus vor den Augen eines Römers auspeitscht, um ihn zu retten, damit die Römer glauben, sie haben einen Knecht vor sich und nicht Jesus, nach dem gefahndet wird, bemerkt Diastasimos an Jesus den gleichen Aussatz. Und der Interviewte ward geheilt! In Corpus Christi wird ein poetisches Verwirrspiel um die „Auferstehung Jesu“ erzählt. Eine Frau, Tirzia, wurde im leeren Grab angetroffen, und während sie gefoltert wird, imaginiert der Autor einen Wechseldialog zwischen Tirzia und Thomas. Doch statt mit des Rätsels Lösung – ist er nun verwest oder auferstanden? – werden Thomas' Fragen mit immer neuen Geschichten beantwortet. Roth schreibt meisterhaft kalkulierte „Fiction“, die die christliche Botschaft ins Visier nimmt, aber bis in die wörtliche Rede hinein zu nachdrücklich auf die affirmative Verfremdung lutheranischer Syntax setzt, als daß es „echt“ wirkt. Doch ein gewichtiger Einwand liegt schwer auf der schreibenden Hand: Keine Schrift kommt dicht genug an Jesus Christus heran. Und eben dies Phänomen läßt noch das Gekünstelte wahrhaftig erscheinen.
Stefan Pröhl
Heute, 20 Uhr, Literaturhaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen