■ Foyergeschnassel
: Heute: Epilepsie der Zufälle

Es gibt Zufälle im Theater, die bringen einen zum Grübeln. Zum Beispiel, wenn immer wieder auf der Bühne Eier gepellt werden. Oder wenn bei einem internationalen Festival überall Fische auftauchen, tot, im Aquarium, im Video oder dargestellt. Jeder regelmäßige Theaterbesucher wird diese Erfahrung kennen, und wer nicht an Magie, die Illuminaten oder Theaterspionage glauben mag, der versucht darin Symbole für Geistesströmungen zu finden – meist vergeblich und scherzhaft.

Das Déjà vu der letzten zwei Wochen gibt einem da schon ernsthaftere Bedenken auf. Sowohl in Yvonne, die Burgunderprinzessin, im Ballett Dornröschen als auch im Gastspiel Moeder & Kind auf Kampnagel wurden auf der Bühne epileptische Anfälle zelebriert. Wobei unter dem Gesichtspunkt, daß die Forschung bis heute noch nicht ermitteln konnte, was einen solchen Anfall auslöst, der Zusammenhang gar nicht so uninteressant ist: die Burgunderprinzessin scheint Opfer einer inneren Trotzreaktion auf schäbige Behandlung zu werden, die Kinder der verrückten Familie aus Belgien genießen anscheinend das euphorische Glücksgefühl, daß den Anfall begleiten soll, und bei Dornröschen, der Prinzessin, die den Mörder ihres Mannes liebt, ist der Anfall Resultat eines Schocks, als sie ein schwarzes Ei gebiert.

Epilepsie, so unsere Theaterleute, ist also scheinbar ein eindeutiger Kommentar auf die unmittelbare Lebenssituation, doch als Symbol für gesellschaftliche Gegebenheiten ein recht beliebiges Muster. Wo also ist der Kern des Zufalls, wenn Spaß, Schock und Trotz gleichermaßen die Fallsucht auslösen. Besagt es, daß man das Leben schlechthin nur mit Hirnkrämpfen ertragen kann, weil einzig der „freiwillige“ Zellentod als Reaktion auf Neid, Haß und Leistungsstreß genügend Zäsur gibt, um sich selbst zu fühlen? Ist der Anfall die Zukunft der Menschheit? Ist der zuckende Krampf der wahre Ausdruck der lebensgierigen Seele oder einfach das bessere Verkaufsargument für ein wildes Theater?

Alles Quatsch, sollte man denken. Keine Geistesströmung zu entdecken, wenn schon ein Geistesdelta. Vielleicht ist das wahnwitzige Trommeln mit Armen und Beinen auf den Bühnenboden aber auch nur der verschlüsselte Einzug des Jungle ins Theater. Die hyperschnelle Tanzmusik wäre damit die schnellste Pop-Adaption des Theaters überhaupt. Normalerweise braucht es mindestens zehn Jahre, bis die Ästhetik und Diskussionen des Pop Reflexe der Bühnen zeitigen. Wer einmal bei einer Premierenfeier war, kennt den schlechten Musikgeschmack der Theaterleute. Doch von diesem nostalgischen Leiden ein ander mal mehr.

Till Briegleb