Trügerische Hoffnung auf Lehrstellen

■ DGB: Auch die jetzt verkündete Lehrstellenoffensive kann „die aktuelle Lücke nicht schließen“. Bund zieht sich aus Finanzierung zurück. 1997 nur noch 700 Plätze für Berlin. 13.500 Berliner ohne Lehrvertrag

Die gute Nachricht einer „Lehrstellenoffensive“ kam am Wochenende, die schlechte folgte auf dem Fuße: Der Bund gibt in diesem Jahr weitaus weniger Geld für jugendliche SchulabgängerInnen, die keinen Ausbildungsplatz finden. 1997 wird das am Freitag verkündete „Ausbildungsprogramm Ost“ sogar reduziert. In Berlin werden dann nur noch 700 außerbetriebliche Lehrstellen gefördert. 1996 können 1.500 Berliner Jugendliche darauf hoffen, staatlich alimentierte Azubis zu werden.

Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) schlug Alarm, kaum daß sie am vergangenen Freitag Bonn verlassen hatte. Der Bund ziehe sich aus der Finanzierung der Lehrstellenoffensive schrittweise zurück, sagte sie. Statt, wie bisher, die Hälfte zum Ausbildungsprogramm zuzuschießen, gibt's nur noch ein Viertel vom Bund. Die fehlenden Mittel werden nicht etwa ausgeglichen. Für einen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz stehen künftig nur noch 26.000 Mark zur Verfügung. Bislang waren es 55.000 Mark.

In Berlin werden 1996 damit 1.000 Lehrstellen in Ausbildungsverbünden finanziert. 300 zusätzliche kaufmännische Stellen wird die Berufsfachschule einrichten. 100 lernschwache Kids sollen in überbetrieblichen Lehrwerkstätten unterkommen. Ebenfalls 100 weitere Plätze sind für kaufmännische Berufe vorgesehen. Für Brandenburg stehen insgesamt 3.000 Stellen zur Verfügung.

Ob mit diesen Maßnahmen die schwerste Lehrstellenkrise seit Jahren zu bewältigen ist, steht dahin. „Die aktuelle Lücke in Berlin kann nicht geschlossen werden“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Berlin-Brandenburgischen DGB, Bernd Rissmann. Im September beginnt das neue Lehrjahr, 13.500 Berliner und 18.000 Brandenburger sind aber noch ohne Ausbildungsvertrag. Rissmann berichtete, daß die brandenburgischen Betriebe nicht einmal dann ausbilden würden, wenn der Staat für das erste Lehrjahr komplett aufkommen würde. Die IHK und die Handwerkskammer hätten lediglich mit einem entsprechenden Angebot in Brandenburg geworben, erklärte Rissmann.

Auch bei den schulischen Alternativen zur Lehrstelle sieht es düster aus. Die „Sozialarbeiter in BB10“ kritisierten jüngst, daß das Land Berlin den Zugang zu diesem Angebot für Schulabbrecher stark einschränke. Statt knapp 2.000 soll es künftig nur mehr 1.111 Plätze geben. Die andere Alternative, die sogenannten Vollzeitlehrgänge 11. Klasse, kann seit 1992 nicht alle ausbildungslosen Jugendlichen in der Stadt auffangen.

Die Lehrstellenkrise ist indes ein Nährboden für Auswüchse. Die Staatsoper läßt sich eine Lehrstelle von den Eltern des Azubis bezahlen. DGB und Arbeitssenatorin Bergmann empörten sich über den „Rückfall ins 19. Jahrundert“. Und sogar die Uni wird als Rettungsboot entdeckt: Schulabgänger sollten sich gleich einschreiben und nicht vorher eine Lehre machen, riet der sächsische Kultusminister Rößler. Christian Füller