Grenze aus Gummi

Ministerpräsidenten lassen viel Platz für Meinungsmacht in der neuen Medienordnung  ■ Von Lutz Meier

Es war eine regnerische Woche, doch für Deutschlands Medienkonzerne begann der Juli ausgesprochen mild. Kirch holte sich mit den Fußballrechten den Öffnungshebel für den Markt der digitalen Pay-TV-Zukunft, und am Freitag machten die Länderministerpräsidenten die Sache rund: Die von ihnen ausgehandelten Grundsätze der neuen Rundfunkstaatsverträge überlassen die Medienzukunft weitgehend dem freien Spiel der Kräfte von Bertelsmann und Kirch.

„Vorherrschende Meinungsmacht“ und die rundfunkrechtliche Begrenzung derselben werden künftig kaum mehr ein Thema sein. Nur wenn die Sender eines Konzerns auf Dauer mehr als 30 Prozent der Zuschauer erreichen, wird eine solche überhaupt noch „vermutet“. Und selbst die letzte Grenze ist aus Gummi: Hier gibt es eine Klausel, die unter Umständen mehr Prozente zuläßt.

Nach einer „ordnungspolitischen Dumpingkampagne“ der Konzerne (so der Chef der Landesmedienanstalten, Thomas Kleist) sind die Regierungschefs in fast allen Punkten weiter eingeknickt. Besonders heftig hatte die Bertelsmannheimat NRW auf Änderungen bei der „Zurechnung“ hingearbeitet. Die entscheidet, welche Programme beim Konzern-Marktanteil mitzählen. Nun sollen erst die Beteiligungen ab 25 Prozent gelten, womit Bertelsmann aus dem Schneider wäre, weil Vox aus seiner Familie fällt.

Die Konzentrationskritiker, an der Spitze die Kieler Regierungschefin Heide Simonis, konnten sich nur noch in Punkten durchsetzen, deren medienrechtliche Auswirkungen fraglich bleiben: Bei der Beurteilung des Marktanteils soll die Konzernstellung auf „medienrelevanten Märkten“ wie Programmlieferung berücksichtigt werden. Besonders Kirchs Patron Edmund Stoiber aus Bayern hatte sich da bis kurz vor Konferenzende erbittert gewehrt. Zudem darf die „Kommission zur Ermittlung der Konzentration“ (KEK), die zur Überwachung der neuen Grenze gebildet wird, schon die Augen öffnen, wenn ein Konzern sich der Grenze nähert. Es wird von dieser Kommission abhängen, ob es noch Konzentrationskontrolle geben wird: Sie entscheidet, wann Meinungsmacht besteht und was passiert, wenn die 30 Prozent überschritten sind. Das lassen die Ministerpräsidenten nämlich offen. Von der bloßen Einsetzung eines Programmbeirats bis zur Verwehrung weiterer Lizenzen kann die KEK zu „vielfaltsichernden Maßnahmen“ greifen. Lediglich im Extremfall kann der verfassungswidrige Zustand „vorherrschender Meinungsmacht“ durch Lizenzentzug beseitigt werden.

Obwohl sich Bayern, Sachsen und NRW weitgehend durchgesetzt haben, äußerte sich Heide Simonis gegenüber der taz „sehr glücklich“ über die Einigung, die am Freitag abend mehrmals auf der Kippe stand. Sie baut darauf, daß die KEK-Mitglieder genügend Autonomie entwickeln, obwohl sie von den Ministerpräsidenten ernannt werden – nach einer informellen Absprache drei auf Vorschlag der SPD-Länder, drei schlagen die der Union vor. Nur bei den „Fensterprogrammen“ gibt es keine größeren Aufweichungen. Daß Sender wie RTL und Sat.1 „Unabhängige“ bald stundenweise mitsenden lassen müssen, wenn sie mehr als 10 Prozent Marktanteil erreichen, wurmt sie. Und die Tatsache, daß die Fenstermacher eine eigene Lizenz bekommen sollen.

Für das Privatfernsehen ist mit der ab Januar 1997 wirksamen Freigabe der Einstieg in die Zukunft klar, ARD und ZDF dagegen bekamen ihre „Bestands- und Entwicklungsgarantie“ nur für eine Frist von fünf Jahren: Bis 2001 gilt die jetzt beschlossene Gebührenerhöhung auf 28,25 Mark und die Vorgabe, die Einheit der ARD zu erhalten. Was dann kommt, ist ungewiß.