Kein Ausverkauf Polens an Deutschland

■ Deutsche Investitionen beim östlichen Nachbarn sind relativ unbedeutend

Presov (taz) – In Polen wächst die Angst vor einem Ausverkauf an Deutschland wieder an. Für anhaltende Unruhe sorgen die Berichte über verdeckte deutsche Landkäufe im ehemals deutschen Westpolen. Und auch der Verkauf der Zigarettenfabrik in Poznan an den Hamburger Tabakkonzern Reemtsma für 130 Millionen Dollar macht viele Polen mißtrauisch gegen den westlichen Nachbarn.

Vorletzte Woche hat das polnische Parlament zudem die Voraussetzungen dafür geschaffen, 3.700 kleinere Staatsbetriebe künftig dezentral über die Wojwodschaften zu privatisieren. Und für die verbliebenen Großbetriebe sucht die Polnische Agentur für Auslandsinvestitionen (PAIZ) nun offensiv nach Interessenten.

Verkehrte Welt: Weil das Privatisierungstempo in Polen nach jahrelanger Stagnation jetzt wieder zunimmt, mußte sich vorletzte Woche der den Sozialdemokraten angehörende Privatisierungsminister Wieslaw Kaczmarek ein Mißtrauensvotum der parlamentarischen „Rechten“ gefallen lassen. Deren bemerkenswerter Vorwurf lautete auf zu großen Liberalismus – und scheiterte an der linken Mehrheit im Sejm.

Indes hat die PAIZ eine Liste praktisch aller nennenswerten ausländischen Investoren bis Ende 1995 veröffentlicht. Sie enthält 376 Positionen mit einem Volumen von mindestens einer Million Dollar. Daraus geht hervor, daß das deutsche Engagement in Polen wesentlich geringer ist, als in der polnischen Öffentlichkeit vermutet wird. Im Gegenteil: Daraus läßt sich ableiten, daß die deutschen Unternehmen den Einstieg in diesen Wachstumsmarkt mit seinen 39 Millionen Einwohnern und einem anhaltenden Wirtschaftswachstum von fünf Prozent weitgehend verschlafen haben.

Die PAIZ-Liste wird vom US- Papierkonzern IPC angeführt, der für eine Zellulosefabrik 290 Millionen Dollar bezahlt hat. Der größte deutsche Investor bis Ende 1995 liegt hingegen erst auf Rang 28. Es ist die Commerzbank, die 55 Millionen Dollar für den 21prozentigen Anteil an einer Handelsbank in Warschau ausgab. Auf Rang 35 folgt der Kaffeekonzern Tchibo, auf Rang 36 der Getränkeverpacker Continental Can Europe, eine Tochter der Schmalbach-Lubeca AG in Braunschweig. Der Eishersteller Schoeller liegt auf Rang 39.

Ein ähnliches Bild von der schwachen deutschen Präsenz ergibt sich bei einer Aufschlüsselung der Großinvestitionen (über 10 Millionen Dollar) nach Herkunftsländern. Von der Gesamtsumme, rund 8 Milliarden Dollar, entfallen allein 1,541 Milliarden Dollar auf die USA, 547 Millionen auf transnationale Konzerne wie ABB oder Unilever und 541 Millionen auf internationale Organisationen wie die Osteuropa-Bank und die Weltbank-Investitionstochter IFC. Dann folgt Frankreich mit 495 Millionen Dollar, Deutschland mit 488 Millionen. Aus Italien wurden in Polen 397 Millionen Dollar investiert, aus den kleinen Niederlanden immer noch 371 Millionen.

Erste Zahlen hat die PAIZ bereits für die Neuinvestitionen im ersten Quartal 96 vorgelegt. Auch hier ist von einer deutschen Dominanz nichts zu sehen. Die Liste wird von der Osteuropa-Bank mit 268 Millionen Dollar angeführt. Es folgt der US-Tabakkonzern Philip Morris, der sich für 277 Millionen Dollar in die Zigarettenfabrik in Krakau eingekauft hat, und dann erst Konkurrent Reemtsma mit seinen 130 Millionen. Dabei sind zwei Megazusagen noch gar nicht erfaßt: Fiat wird 930 Millionen und der südkoreanische Autobauer Daewoo 1,3 Milliarden Dollar in die Modernisierung und den Ausbau der Fahrzeugproduktion stecken.

Aber nicht einmal die Gesamtsumme gibt Anlaß zur Angst vor dem fremden Kapital. Nach UN- Angaben für 1994 – die Relationen haben sich seither nicht stark verändert – liegen die Nettoauslandsinvestitionen pro Kopf in Polen bei nur 80 Dollar. In Estland waren es 275, in Tschechien 302, in Slowenien bereits 627 und in Ungarn sogar 818 Dollar pro Kopf.

Wie sich die verschiedenen mittel- und osteuropäischen Länder in den letzten Jahren entwickelt haben, ist auch Thema des seit gestern abend laufenden Weltwirtschaftsforums in Salzburg. Mehrere hundert Bankenvertreter sowie Regierungsvertreter aus 13 Staaten werden die wirtschaftlichen Fortschritte der Reformstaaten beurteilen. Gute Noten sind wichtig: Es geht um Pluspunkte für den EU-Beitritt. Dietmar Bartz