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Rosen für die Todgeweihten

■ ... und andere rituelle Bräuche: Beim „Bikers Pier“ beschworen die Motorradfahrer ihren langsam niedergehenden Kult

Nichts Schöneres gibt es für meinen künftigen Schwager, als seine Sonntage dem Automobilkult zu weihen. Rastlos brummt er von Händler zu Händler, um mit Kennermiene deren Gebrauchtwagensortiment zu mustern. Natürlich gilt dieser Schwager als arger Spießer. Ständig geht's bei ihm um neue Frontspoiler, um weißwandige Reifen und fette Subwoofer für's Autoradio – wie kann man nur soviel Blech reden.

Ganz anders die Freunde des Motorrads. Auch sie verbringen die Wochenenden mit ihrer Verbrennungsmaschine. Zum Beispiel gestern beim „Bikers Pier“, dem rituellen Treffen in den Ruinen des Bremer Hafens. Auch hier vergleicht man Maschinendetails, pflegt sein Hobby, sucht die Gleichgesinnten. Es wird kein Blech, dafür aber „Benzin geredet“, so will es der Fachjargon. Aber niemals würde man die Biker des Spießertums zeihen. Der große Unterschied zum Autowahn ist nämlich: ... tja, da verstummen die Motorradfreunde. Schweigen dich grimmig an und denken: Biker sein, das ist eben einfach Kult.

Allein: Der Motorradkult ist ein extrem wetterabhängiger. Ein Unglück, zumal in Norddeutschland. Nur ein paar Hundert pilgerten gestern zum „Pier 2“. Zum groß angekündigten Corso tuckerten schlappe 30, 40 Maschinchen durch die Stadt. Auch auf dem Freigelände am Pier selbst wurde recht wenig Benzin geredet. Den Grund erkannte mein Begleiter, ein stadtbekannter Enduro-Fahrer, sofort: Wer seine Maschine liebt, der poliert sie fleißig, bevor er zum „Bikers Pier“ vorfährt. Droht aber Regen, bedeutet das häßliche Schlammspritzer auf den schmucken Auspufftüten. Dann lieber daheim bleiben, im Trockenen, und ein bißchen in der Garage herumschrauben.

So geht auch dieser Kult den Weg alles Irdischen. Wenngleich viele „Biker“ sich nach Kräften dagegen wehren. Viel kultischer Schnickschnack wird da aufgefahren, um immer wieder das Besondere des Hobbys zu beschwören und so am Leben zu erhalten. Dem Tod zu trotzen, hat Fachhändler Boris gleich mehrere Wühltische voller Totenschädel mitgebracht. So prangen sie in der Halle am Pier, und wir staunen: Schädel in Messing, Silber, Plastik; als Kettchen, Briefbeschwerer und Türklopfer. Boris selbst, Besitzer der Kulträder „Harley Davidson“ und „BMW“, hat „den ganzen Rücken voll mit Schädeln tätowiert“.

Wer's ihm nachmachen will, kann sich vertrauensvoll an den Nachbarstand „Fantastic Art“ wenden. Dort piekst Tätowierprofi Jörg aus Rotenburg (Wümme) den Bikern hübsche Motive ein. Mit Todesverachtung: Jörg liebt das Tätowieren vor allem wegen des „unbeschreiblichen Gefühls dabei, wenn es so schmerzt“.

Ansonsten liebt die Bikergemeinde auch hier das Solide. Modische Tattoo-Neuheiten werden verschmäht; als bevorzugte Motive erfreuen sich die Rose, der Delphin („für die Frauen“) und natürlich der Schädel ewiger Beliebtheit.

So streunen die Biker, tätowiert und schädelbehangen, den mattschwarzen Helm unterm Arm, über den Pier, der in unseren Augen eigentlich nichts weiter ist als ein großer Parkplatz . In den Augen der Biker aber ist ein Parkplatz voller Motorräder die herrlichste Galerie. Was es da zu entdecken gibt: eine alte „Motoguzzi“, das es sowas Schönes noch gibt; eine BMW mit einem schiffsbugartigen Aufbau – „eine alte Polizeimaschine“, raunt mein Begleiter; viele, viele Japaner, die wie „Harley Davidson“ aussehen wollen, aber es irgendwie nicht hinkriegen – „sowas lehnen wir ab“, lacht mein Begleiter plötzlich wie irr, „damit machen wir höchstens Motorrad-Weitwurf!“

Womit das von den grimmig schweigenden Motorradfreunden bislang gut gehütete Geheimnis heraus wäre: Daß auch der Motorradkult nicht gerade auf einer eingeschworenen Gemeinschaft fußt. Wer zum „Bikers Pier“ kommt, um mit Gleichgesinnten „Benzin“ zu reden, der meint womöglich andere Gleichgesinnte als man selbst. Der eine fährt eine schnittige Suzuki „Intruder“, der andere grinst darüber. Und der dritte baut die Kiste total um. Ralf aus Bremervörde hat seine stahlblaue „Intruder“ tiefer gelegt, länger gemacht, neu gepolstert. Für Beifahrer ist nur noch auf einem schmalen Zierkissen auf dem Rückblech Platz; „meine Ex ist da drauf bis nach Belgien gefahren“, dann war Schluß, was soll's, „Hauptsache, mir gefällt's“.

Der vierte aber fährt „Harley-Davidson“. Das Original, der Klassiker, keine von diesen nachgebauten Aluschüsseln. Soviel Eleganz, so dicke Töpfe, so tiefe Sitze und soviel hübsch poliertes Chrom. Und das bei dem Wetter. Da zieht aber wirklich jeder den Helm. Da ist sich die Kultgemeinde – ein einziges Mal – wirklich einig. Wirklich? „Ach, komm' weiter“, winkt mein Begleiter ärgerlich, „das ist doch bloß so'n teures Ding für Zahnärzte und Rechtsanwälte.“ Wir satteln den Peugot und zuckeln in den Abendhimmel. Bis nächsten Sonntag dann. Thomas Wolff

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