Durchs Dröhnland
: Vielleicht eine schöne Zeit

■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Auf Hawkwind berufen sich mittlerweile Musiker unterschiedlichster Provenienz: Ambient- und „Diskurs-Techno“- Projekte wie Banco de Gaia oder Loop Garu, insbesondere aber die Grunge-Metal-Space-Rocker der Neunziger: Monster Magnet, Kyuss oder Fu Manchu. Siebziger Jahre revisited will das heißen, und da traten Hawkwind 1970 auf den Plan und wollten nicht mehr die Hippies sein, wie wir sie kennen; sie ließen Flower-power und Protestsongs auf der Erde zurück und beamten sich in Universum und Zukunft: Space-Rock war geboren. Eskapistisch und esoterisch lassen Hawkwind damals wie heute psychedelische Gitarrenschlaufen in den schillerndsten Farben entstehen, und einschließlich avancierter Klang- und Geräuschcollagen kommt man beim Hören ihrer Musik sich wirklich manchmal wie auf einem anderen Planeten vor. Ganz im Gegensatz zu ihrem Sound steht jedoch durchaus diesseitiges Engagement: Frontmann Dave Brock kümmert sich, soweit das von England aus geht, seit 1967 um die Belange Tibets. Wo es sonst um Sputnik Stars, Xenomorphien und Aliens geht, nannten sie 1993 ein Stück sogar „Tibet Is Not China“, und ein Tibet- Support-Logo soll solange auf den Plattencovern von Hawkwind erscheinen, bis Tibet seine völlige Unabhängigkeit erlangt hat.

Fromme Wünsche, aber sehr korrekt. Was sie nicht mehr anstreben müssen, ist der Status eines Klassikers: Den haben sie mit Songs wie „Silber Machine“ längst erreicht, und was Intensität, Schwingung und unwillkürliche Halluzinationen betrifft, lassen Hawkwind auch heute ihre selbsternannten Epigonen mitsamt Equipement ziemlich langweilig und normal im Leben und im Regen stehen.

19. 7., Huxleys Neue Welt, ab

21 Uhr

Recht umtriebig, dieser Mann. Sein Name: Henning. Bekannter als todtrauriger Henning. In erster Linie ein guter Songwriter, der seine teils abgedehten, teils alltäglichen Geschichten in warme Sounds zu packen versucht. Richtig abrocken läßt sich dabei nicht. Eher kann man den einen oder anderen angenehmen Gedanken in die Ferne schweifen lassen, vielleicht auch eine schöne Zeit und ein bißchen Liebe haben.

19. 7., BKA-Zelte ab 22 Uhr

Musikalisch assoziiert man mit Brasilien meist Salsa, Samba und Sepultura. Wo aber jedes Weltkind weiß, daß dieser Planet bloß ein kleines globales Dorf ist und MTV sein Headquarter und Signalsender, versuchen sich auch brasilianische Bands an Stilen, die ihnen nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden sind. Im Falle von Chico Science & Nacao Zumbi und den Paralamas bedeutet das die Adaption des verhaßt-beliebten Crossovers aus Hardcore und HipHop. Allerdings haben beide Bands die musikalischen Traditionen der Heimat nicht ganz aus dem Gedächtnis gestrichen: So gibt es bei Chico Science nicht schnöde 1:1-Musik, die die kaufkräftige, Musikfernsehen schauende weiße Jugend aus den Vororten zur „Zielgruppe“ hat (obwohl man seitens der Veranstalter verdächtig stolz ist und kryptorassistisch auf die „Exotik“ verweist, die die Band in Crossover-Festivals bringt). Sondern recht wüste instrumentelle Arrangements, in denen drei riesige Pauken (Surdos genannt), diverse Congas und eine Snaredrum den Löwenanteil haben und für den entspannten Groove mitsamt Tanzkompatibiltität sorgen. Was dann letzten Endes – um hier noch eine Schleife zu machen, Musiktransfers lassen sich oft herrlich mißverstehen – doch bevorzugt bei Weltmusik-bewegten Sozialpädagogen und multikulturell sich gerierenden Ärztinnen die Hüften wackeln läßt. Mal sehen. Die Paralamas übrigens erscheinen zuweilen mit mehr Seele und Tiefgang als Chico Science und Co ausgestattet zu sein, wiewohl sie es in ihren Songs oft nicht unterlassen können, große Portionen übelsten Schmalz abzusondern.

20. 7. in der Kulturbrauerei,

ab 21 Uhr

Ob dieser Frau bloß ein industriell gezüchtetes Retortenbaby ist oder eine echte deutsche Folk- und Rockdiva, darüber streiten sich nebensächlicherweise die Gelehrten: Die schwäbische Wahlberlinerin Lisa jedenfalls wird mit einiger Macht von ihrer Plattenfirma zu einer zweiten Alanis Morisette oder Brenda Kahn aufgebaut. Mit gebrochener Biographie und allem sonst. So erfährt man selbst von einer Reise, die Lisa seinerzeit nach Wackersdorf unternahm. Die soll kathartisch gewirkt haben, wird zumindest jetzt zu einer radikalen Änderung des gutbürgerlichen lebenswegs stilisiert. Manche werden so wirklich radikal, wenigstens in irgendeiner Art und Weise politisch aktiv, Lisa jedoch wollte nur eines: Sängerin werden. Das ist sie nun, und Stimme hat sie.

Der Sound auf ihrem Debütalbum jedoch ist gefälliger Formatrock ohne Ausrutscher, ohne gefährliche Ausflüge oder besondere Wagnisse. Und orten soll man Lisas Lyrics „jenseits aller breitgetretenen Plattheiten“, was dann auf ihrer ersten Single soviel heißt wie: „Wenn ich will, mach' ich die Augen zu, wenn ich will, genieß' ich alles was ich tue“. Neue Absatzmärkte lassen grüßen.

22. 7. im Franz, ab 22 Uhr.

Auch den Friseur in der Kronenstraße hat es erwischt, der dem Bauboom zuliebe seine Pforten schließen muß. Zum finalen Countdown legt der inzwischen recht notorische Stereo De Luxe seine leicht konsumierbare Ware auf die Plattenteller. Interessanter dürfte der ebenfalls an diesem Abend auftretende Curd Duca sein. Der 40jährige Österreicher spielte früher in Bands mit so obskuren Namen wie „Wenn es seltsam klingen mag“ und „8 oder 9“. Mittlerweile hat er in Eigenregie vier Alben herausgebracht, die nur mit „Easy Listening No 1–4“ betitelt sind. „Ungenaues erinnern“ ist die Grundlage für seinen Umgang mit dem ganzen alten Kram. Auf dieser Grundlage ist seine Musik nur bedingt Easy Listening: Duca dreht auf seinen Alben von Jazz, Electronic, Ambient bis Techno so ziemlich alles durch den Reißwolf, auf daß zwischen den eindeutig definierbaren Leichtartikeln auch einiges schwergewichtige, atonale und experimentelle Zeugs herauskommt.

23. 7. im Friseur, ab 22 Uhr Gerrit Bartels