Tüftler für olympisches Gold

Wenn in Atlanta deutsche Athleten mit Sportgeräten des Berliner Instituts FES gewinnen, hoffen die Forscher auf einen gesicherten Arbeitsplatz. Hier wird simples Sportgerät zu High-Tech verwandelt  ■ Von Gunnar Leue

Je schräger das Umfeld, um so gradliniger die Legendenbildung. Selbst das runtergekommene (Noch-)Industriegebiet Oberschöneweide liefert den Beweis. Ausgerechnet hier liegen die Geheimwerkstätten, wo aus mehr oder weniger simplen Fortbewegungsgegenständen High-Tech-Sportgeräte gemacht werden, mit denen erst DDR- und dann gesamtdeutsche Sportler schon oft Olympiagold scheffelten. Doch in der Tabbertstraße 4 verbreitet allein das Messingschild mit der Aufschrift FES, das die Hauswand mit ihrem verschmuddelten Putz ziert, etwas Glanz.

Das Hauptquartier des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten erinnert eher an eine Hinterhofklitsche als an ein Wunderlabor, zu dem das FES vor allem im Westen zu Zeiten der Systemkämpfe gern erklärt wurde. Man kannte ja nur die Ergebnisse der Tüfteleien wie die sensationellen Karbonräder, mit denen DDR- Radler bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zum Sieg rollten. Die primitive Bastelbude kannte man nicht.

Die Idee, ihren Sportlern mit modernster Technik Vorteile zu verschaffen, kam den DDR-Sportfunktionären vor über drei Jahrzehnten. Die „DDR-Botschafter im Trainingsanzug“, wie auch Sportfan Walter Ulbricht die Athleten sah, sollten mit besserer Ausrüstung aufs Treppchen eilen. Die Eingebung, daß der technischen Entwicklung wachsende Bedeutung zukommt, wurde wenigstens beim Sport konsequent umgesetzt und 1961 das FES gegründet. Mit den Ruderbooten ging es los, später folgten Innovationen im Kanu-, Rad-, Segelboot-, Bob- und Schlittenbau.

Das ganze Geheimnis, wenn man so will, ist die verwirklichte Grundidee, das „System Sportler/Gerät komplex zu betrachten“, erklärt FES-Direktor Harald Schaale, selbst ehemaliger Vize-Europameister im Segeln. Deshalb arbeiten an seinem Institut Forscher, Meßtechniker, Handwerker und Ingenieure Hand in Hand, wenn es beispielsweise darum geht, die Radfahrer noch ein winziges Stück mehr vom Luftwiderstand zu befreien. Denn bei gleich starken Sportlern entscheidet letztendlich die bessere Ausrüstung über den Sieg.

Um die zu entwickeln, mußten die FES-Forscher früher in der DDR meistens genauso improvisieren wie ihre Kollegen in den VEBs. „Wir zogen zum Beispiel mit Apfelsinenkisten los“, erinnert sich Schaale, „und besorgten dafür bei Robotron in den Südbezirken, wo es die Früchte noch seltener als in Berlin gab, Computer-Einzelteile. Die bauten wir dann selbst zusammen.“ Und was es in der ehemaligen DDR nicht gab, wurde aus dem Westen organisiert. Schalcks Devisenfirma „KoKo“ beschaffte noch 1988 einen Großrechner. Acht Millionen Ostmark standen dem FES zur Verfügung und nur 200.000 DM, für die vor allem Werkstoffe gekauft wurden, wie Kohlefasern oder Kevlar für den Boots- oder Fahrradbau. Die High-Tech-Entwicklungen wurden untypischerweise allerdings nicht als Devisenbringer genutzt. Olympisches Gold ging vor Westgeld.

Heute hat der eingetragene Verein einen Etat von knapp 5 Millionen Mark. 4,2 Millionen kommen vom Bund, dafür ist das Institut auch ausschließlich dem Wohle des deutschen Spitzensports verpflichtet. Sollten die Mittel allerdings wie in den vergangenen Jahren weiter reduziert werden, wird das FES noch stärker in der Industrie aktiv werden müssen. Für die S-Bahn hat man beispielsweise schon kleinere Aufträge ausgeführt. Dem deutschen Spitzensport und den Hobby-Medaillenzählern würden weitere Einsparungen freilich teuer zu stehen kommen.

An dem vergleichsweise wenigen Geld hängen aber nicht nur manche Sporterfolge, sondern auch 50 Arbeitsplätze. Zur Wende werkelten noch 180. FES-Chef Schaale will seine verbliebenen Leute unbedingt halten, „denn das sind alles Spezialisten, die können was“. Anfragen nach den Produkten aus der ganzen Welt belegen die Wertschätzung ihrer Arbeit. Schließlich wurden mit ihren Sportgeräten allein rund 50 Olympiasiege erzielt. Auch in Atlanta dürften wieder einige hinzukommen.

Dafür haben die Tüftler in Berlin auch durchgeackert, mit Urlaubssperre und bis zu 400 Überstunden (weshalb die Werkshallen momentan ziemlich verwaist sind). Allerdings war man Termindruck auch zu DDR-Zeiten gewohnt. Von November 95 bis April wurden eine Kanuflotte sowie fünf neue Fahrradmodelle entwickelt und gebaut. Alles Geld wird nur in die Technik investiert. Die Werkshallen in Schöneweide und Grünau sehen denn auch aus, als würde immer noch die Planwirtschaft regieren. Die Decke zieren Wasserflecken vom Regen und die Büros ein Gestühl, das für die schönsten Traditionen des DDR- Möbeldesigns steht. Selbst am Chefzimmer ist noch das Beste der Blick auf die Spree.

Richtige Konkurrenz hat das FES in der gesamten Bundesrepublik trotzdem nicht. Zwar tüfteln auch anderswo Leute an modernstem Sportgerät, aber die Kombination von Geräteentwicklung, Meßtechnik und Service ist einmalig. Die Sportler werden auch auf Trainings- und Wettkampfreisen betreut. Vorteilhaft ist außerdem, daß viele FES-Mitarbeiter früher selbst Leistungssportler waren und sich von den betreuten Sportlern „kein Ei auf die Schiene nageln lassen“, wie Harald Schaale sagt. Gedankt wird es ihnen hin und wieder mit ein paar Flaschen Sekt, wenn die erfolgreichen „Kunden“ mal wieder beim FES vorbeischauen und ein bißchen über ihre Wettkampfreisen erzählen.

Jeder Sieg mit ihren Bobs, Booten und Rädern hebt aber nicht nur den Stolz der Tüftler auf ihre Arbeit, sondern die Hoffnung auf einen sicheren Job. Denn wenn die Sportfachverbände, mit denen Projektverträge bestehen, unzufrieden wären, hätte das wohl schnelle Folgen. „Dann sähe es mau aus“, meint auch Chefkonstrukteur Klaus-Dieter Lehmann. Auch deshalb blicken die FES- Leute ab heute gespannt auf Atlanta.