„Zusammengesammeltes Zeug“

Im Prozeß gegen Monika Haas erwies sich die Stasi-Akte bisher nicht als starkes Beweismittel. Heute ist Souhaila Andrawes geladen  ■ Von Heide Platen

Was nur mag den Bundesanwalt Homann umtreiben, der schon die Frage nach seinem Vornamen gereizt beantwortet: „Das tut nichts zur Sache.“ Glücklich kann er jedenfalls nicht sein. Was, ist nämlich seit der vergangenen Woche zu fragen, hat die Bundesanwaltschaft bewogen, diese Anklage gegen die 48jährige Monika Haas zu erheben, und was die 5. Strafkammer des Frankfurter Oberlandesgerichtes, sie zuzulassen?

Die Anklage ist immerhin kein Pappenstiel und wirft der Frau vor, im Herbst 1977 Waffen für die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ nach Mallorca geschmuggelt zu haben. Sie stützte sich bisher vor allem auf Stasi-Akten. Als Zeuge geladen war deshalb Helmut Voigt, ehemals Oberstleutnant in der für Terrorismusbekämpfung zuständigen Abteilung XXII des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Vor ihm ist bereits sein Untergebener, der Sachbearbeiter Werner Orzschig, gehört worden.

Die Stasi hatte 1980 eine Akte über Haas angelegt, den „Operativ-Vorgang Wolf“, weil sie vermutete, Haas arbeite für westliche Geheimdienste. Sie setzte auch einen Spitzel auf die Frau an. Von Orzschig und Voigt versprach sich der Frankfurter Staatsschutzsenat Aufklärung darüber, was an der Akte Schlamperei, Spekulation, was harte Fakten sein könnten.

Helmut Voigt steht das erste Mal im Zeugenstand. Er wurde wegen seiner früheren Tätigkeit bereits verurteilt: Vier Jahre bekam er wegen Beihilfe zum Mord durch Unterstützung verschiedener Anschläge, darunter der von der Carlos-Gruppe am 25. August 1983 auf das Berliner „Maison de France“. Spätestens seit 1981, so das Landgericht Berlin, habe die Abteilung XXII den internationalen Terrorismus nicht mehr beobachtet und bekämpft, sondern unterstützt, sei ein antikapitalistisches „Zweckbündnis“ mit „international gesuchten Mördern“ eingangen. Voigt mag, als ihm das Berliner Urteil vorgelesen wird, nicht alles auf sich sitzen lassen, bestreitet das „Zweckbündnis“ aber nicht.

Der Ingenieur und Diplomjurist hat sich vom Betriebsschlosser im Braunkohle-Bergwerk zum Abteilungsleiter im MfS hochgearbeitet. Er betrachtet den „Operativ-Vorgang Wolf“, die Akte also, auf die sich die Anklage stützt, eher als eine Lappalie auf seinem langen Berufsweg denn als einen brisanten Vorgang. Voigt erinnert sich, daß er schon 1979, vor der Anlage der Akte, Gerüchte gehört habe, Haas sei für einen „uns nicht wohl gesonnenen Geheimdienst“ tätig und „im Jemen mit einem hochrangigen Führungskader der PFLP verheiratet“. Voigt studiert im Zeugenstand Aktenteile des von ihm eingeleiteten und später kontrollierten Vorgangs akribisch. Und wertet sie ab: Berichte ohne Unterschrift, keine Verteilerschlüssel, „irgendwie zusammengesammelt“.

Manipulative Stasi-Arbeit

Die Akte habe, sagt er auf Nachfrage von Haas' Verteidigern, zuwenig Gewicht gehabt, um sie als „Operativ-Information“ an höhere Dienststellen weiterzuleiten: „Nein, das hat nicht die Qualität wie das, was dort gefordert war.“ Das habe er im übrigen auch schon der Bundesanwaltschaft gesagt: „Wir haben niemanden beschuldigt, wenn man keine Beweise hatte.“ Den „OV Wolf“ nennt er eine Mischung aus „Vermutungen, Spekulationen, Verdächten“: „Bis wir zu dem Schluß kamen, das bringt jetzt nichts mehr, noch ein Zettelchen mehr oder weniger in die Akte zu nehmen.“ Vorsätzlich Falsches habe man nicht hineingetan, aber:„Es war eine geheimdienstliche Tätigkeit, keine gerichtliche oder polizeiliche.“

Hier möchte der Beisitzende Richter Zeyer den Geheimdienstmann zu einer Spekulation anregen: „Was wäre, wenn die Informationen falsch gewesen wären?“ Voigt sagt, dazu habe es ihm damals noch am „Erkenntnisstand“ gemangelt; denn dann hätte er die Akte mit „falsch“ oder „Spinner“ gekennzeichnet. Was, will der Vorsitzende Richter Schieferstein nun wissen, wäre mit einem Mitarbeiter geschehen, der Informationen fälschte? Und meint den bereits vernommenen Werner Orzschig.

Sicher, sagt Voigt, gab es einen Erfolgsdruck, sei es vorgekommen, daß Mitarbeiter Berichte aufgewertet hätten, um sich „in ein besseres Licht zu setzen“. Auch mit Orzschig habe er als Vorgesetzter „Verstimmungen“ gehabt, die seien aber nicht gravierend gewesen. Bei Geheimdiensten liege es nun einmal in der Natur der Sache, daß spekuliert werden dürfe: „Daß Geheimdienste auch manipulativ arbeiten, ist weltbekannt.“

Vor allem dann, „wenn es in die politische Linie paßt“. Bei Unzuverlässigkeit von Quellen sei „von Fall zu Fall“ entschieden worden. Daß Haas gar Westagentin sei und dennoch die Waffen für die „Landshut“ geschmuggelt habe, so Voigt, „davon sind wir eigentlich nicht ausgegangen, weil wir ja überzeugt waren, daß sie für einen anderen Geheimdienst arbeitet“. Einige Mitarbeiter hätten zwar auch in diese Richtung spekuliert, aber: „Wir glaubten, daß kein Geheimdienst so weit geht.“

Dem würde sich Bundesanwalt Homann sicher gern anschließen. Schließlich ist Haas nicht angeklagt, Geheimdienstagentin des freien Westens gewesen zu sein, sondern wegen des Waffentransports. Damit befaßt sich das Beweismittel „OV Wolf“ allerdings nur sehr am Rand.

Den ersten konkreten Hinweis gab ein Zeuge vom Hörensagen, der Stasi-Spitzel und ehemalige RAF-Mann Werner Hoppe. Er ist von Werner Orzschig geführt worden. Hoppe berichtete, daß seine alte Bekannte Monika Haas ihm bei einem Besuch gestanden habe, die Waffenlieferantin gewesen zu sein.

Und die Aussage eines IM

Auch Voigt hatte Hoppe mehrmals getroffen. Hoppe habe auf ihn einen „ordentlichen Eindruck“ gemacht. Vorsätzlich „gelogen und betrogen“ habe er wohl nicht. Allerdings habe er „in der Beurteilung bestimmter Dinge manchmal extrem und extremistisch reagiert“. Voigt habe das auf Hoppes langjährige Haft in der Bundesrepublik zurückgeführt. Der Kontakt habe „nach Tschernobyl“ geendet. Hoppe habe gesagt, „mit solchen Leuten“ wolle er nicht mehr zusammenarbeiten: „Das kam wohl aus seinem Umfeld.“

Monika Haas hatte schon in ihrem ersten – wegen Krankheit Anfang des Jahres eingestellten – Verfahren über ihre eher skurrilen Begegnungen mit Hoppe berichtet, der sich, fand sie damals, regelrecht vor ihr fürchtete. Dazu hatte der Mann, der Haas für eine Westagentin hielt, auch allen Grund, mußte er doch seine Stasi-Tätigkeit Haas gegenüber verbergen. Die Substanz der Anklage verflüchtigt sich mit jedem Tag, den dieser Prozeß dauert. Es drängt sich der Verdacht auf, daß die Bundesanwaltschaft zwar Herrin ihres Ermittlungsverfahrens war, ab irgendeinem Zeitpunkt aber nicht mehr ihrer selbst. Zeitschriften und Fernsehmagazine hatten die eher dürftige Stasi-Akte zum Skandal aufgeblasen.

Und so kämpft Bundesanwalt Homann, immer mit dem Rücken an der Wand und gleichzeitig in Vorwärtsverteidigung, wie mit dem Dreschflegel gegen Windmühlen. Den gewöhnlich gelassenen Hanseaten treibt es bis an Grenzen, an denen ein faires Verfahren unkenntlich wird. Er unterbricht, redet dazwischen, ereifert sich, findet die Angeklagte „ungezogen“, „ungehörig“, schurigelt die Verteidigung.

In der vergangenen Woche ist auch das westliche Pendant zu Voigt gehört worden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schickte aus Köln den Mitarbeiter P. Er sagte im Zeugenstand vor allem über eine mögliche Beteiligung von Haas an der Entführung der „Landshut“ aus. Seine Behörde hatte sich Listen von Flugpassagieren verschafft, die im Herbst 1977 Flüge von Algier nach Mallorca gebucht hatten. Dabei sei man auf eine Frau mit gestohlenem holländischem Paß gestoßen. Daß diese aber tatsächlich Monika Haas gewesen sei, habe sich sich nicht verifizieren lassen.

Als Kronzeugin soll heute die Palästinenserin Souhaila Andrawes die Anklage erhärten. Gestern ließ sie aber bereits über ihren Rechtsanwalt wissen, daß sie nicht aussagen werde. Sie fühle sich bedroht und schweige auf Anraten der Bundesanwaltschaft.

Bundesanwalt Homann sagte in Frankfurt, einen solchen Rat habe seine Behörde Andrawes nicht gegeben: „Ich kann mir das auch nicht vorstellen.“ Wenn Souhaila Andrawes schweigt, werden die Protokolle von ihren Vernehmungen vor zwei Jahren in Norwegen und die Frage, wie sie zustande gekommen sind, ab jetzt eine entscheidende Rolle spielen.