Alttestamentarische Zettelkasten

■ Mit 12 US-Indies stellt das Filmfest eine tragfähige Szene vor

Daß in den USA die besseren Genre-Filme gedreht werden, ist eine Binsenweisheit. In den letzten Jahren drängt sich allerdings der Verdacht auf, daß auch die besseren Autorenfilmer dort gedeihen. Rund um Robert Redfords Sundance-Filmfest sind zahllose lokale Festivals entstanden, die inzwischen eine tragfähige Infra-Struktur für Filmemacher mit eigener Handschrift liefern.

Nach und nach enstanden so, ausgehend vom New Yorker Underground, im ganzen Land verteilt Dépendancen der Indie-Szene. So stammt etwa Wes Anderson, Regisseur der Twenty-Something-Komödie Bottle Rocket, aus Texas und Lee David Zlotoff drehte Die Geschichte vom Spitfire Grill, der den Publikumspreis in Sundance erhielt, in seiner waldigen Heimat Maine.

Auch die Schwarz-Weiß-Erinnerungen Notes From Underground von Gary Alan Walkow, einer der 12 US-Indies beim Filmfest Hamburg, erhielt seine Feuertaufe in Sundance, die sensible Teenie-Studie Manny & Lo wurde sogar vom Sundance Institute gefördert.

Ein anderes Antriebsrad der Szene sind unabhängige Filmverleiher wie der inzwischen schon als Veteran bezeichnete Jeff Lipsky, der mit dem FilmChildhood's End, der Sex mit Mutters Freundin thematisiert, sein Regiedebut vorstellt. So wachsen fernab von staatlicher Filmförderung unabhängige Autoren, die es nicht mehr auf die großen Budgets in Hollywood abgesehen haben.

Dieses Selbstbewußtsein ziehen die unabhängigen Regisseure auch aus fortwährenden Medienwechseln. Wie Lipsky wechselte auch der Romanschriftsteller Buddy Giovinazzo in das Regiefach und gewann für No Way Home immerhin gestandene Hollywood-Akteure wie James Russo, Deborah Unger und den immer mehr am manierierten Spiel von Robert De Niro orientierten Tim Roth.

Roth (Reservoir Dogs, Rob Roy) spielt in diesem ältesten aller Filmplots den etwas langsamen Joey, der nach sechs Jahren Haft bei seinem Bruder Tommy und dessen Frau Lorrain auftaucht. Obwohl er nichts anderes will als sich einzugliedern, trifft er auf eine Umgebung, mit der er immer weniger umgehen kann. Irgendwann aber übersteigert No Way Home dieses Sozialdrama mit alttestamentarischem Format in die Geschichte von Kain und Abel.

Während Giovinazzo an die Wurzel aller Geschichten rückt, erzählt Steve Buscemi seine Säufer-Geschichten nur in Skizzen. Der Tarantino-Schauspieler, der auf den Schlawiner abonniert ist, macht wie in seinen Kurzfilmen auch in seinem Spielfilm-Debut eine Kneipe zum Titelhelden. Im Trees Lounge gibt sich Tommy Basilio (Steve Buscemi) so lange die Kante, bis ihm der Barkeeper 10 Dollar dafür bietet, wenn er einen Whiskey nicht trinkt.

Aus einer Gruppe von Barflies und Tommies italienischer Familie in einem New Yorker Vorort entwickelt Buscemi ein an Säufer-Blackouts erinnerndes, ganz lose zusammenhängendes Bündel von Geschichten. Manchmal grotesk, wie wenn Onkel Al nach einem Herzinfarkt im Eiswagen an den gezückten Geldscheinen der Kids vorbeirauscht, manchmal tragisch, wenn sich Tommy an seine 17jährige Nichte (Chloe Sevigny aus Kids) heranmacht. Zwischen Anekdotischem und alttestamentarischen Tragödien oszillieren mithin die US-Indies aus diesem Jahrgang.

Volker Marquardt

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