Kalt, ungeschönt, verloren

■ Sarah Kanes Kriegsdrama Zerbombt als deutschsprachige Erstaufführung im Malersaal des Schauspielhauses: ein Stück ohne hoffnungsvolles Atemholen

Dem logischen Empfinden spricht der Bruch Hohn, aber die Autorin hat auf die Ungereimtheit eine passende Antwort parat: „Wer weiß schon, wann ein Krieg wirklich beginnt?“ antwortet Sarah Kane auf die Frage, warum in den ersten Szenen ihres aufsehenerregenden Stückes Blasted nicht der Hauch eines wirklichen Krieges zu spüren ist, der dann plötzlich mit kaum vorstellbarer Grausamkeit über die Protagonisten einbricht. Denn treffen sich zu Beginn Ian und Cate noch in einem Luxushotel zu einem Tête-a-tête unter dem Stern gemeiner bürgerlicher Fehlvorstellungen, so tritt mit einer Granate und einem Soldaten eine Wirklichkeit in die scheußliche Privatheit, die wirkt, als sei sie von einer anderen Warte aus in die Geschichte gestartet und mehr zufällig hier angekommen.

Nicht daß man das Rendezvous des schwer krebskranken Journalisten mit der kindlich-jungen Ex-Geliebten nicht unter der Metapher „Krieg“ verstehen könnte, aber während vor einer nächtlichen Vergewaltigung noch reichlich Essen und äußere Umstände der normalen Art vorhanden sind, tritt der Soldat mit einer Verrohung und einem Hunger ein, daß er schließlich die Augen Ians aus ihren Höhlen saugt und ißt. Ist ja auch lecker!

Aber Spaß beiseite: Das Stück, mit dem Sarah Kane als 23jährige schlagartig berühmt wurde und das diese Saison von sechs deutschen Stadttheatern nachgespielt wird, besitzt überhaupt kein Augenzwinkern mehr, kein hoffnungsvolles Atemholen mit dem Ansatz eines Lächelns. Zwei menschliche Ruinen – Ian, ein Rassist, Feigling, Sensations-Journalist, Vergewaltiger, und der Soldat, der nach der Niedermetzelung seiner Frau jedes Maß der Grausamkeit verloren hat – treffen auf die naive, schüchterne Selbstbestimmtheit eines Mädchens, Cate, das sowohl über Prinzipien wie auch über ein positives Menschenbild verfügt und sich in epileptische Anfälle flüchtet, wenn die Brutalität – verbal oder körperlich – zu groß wird.

Diese Szenerie entwickelt Kane in der Form knappster Dialoge, die kalt, ungeschönt und im Rhythmus alltäglicher Verlorenheit voreinander weglaufen. So ornamentlos entsteht eine Dokumentation von Kriegswirklichkeit – in diesem Fall von beiden Kriegen, dem persönlichen und dem tödlichen –, deren Kunst in der Genauigkeit der Beobachtung und der Skizzierung von Herzensabgründen mit wenigen Buchstaben besteht.

Regisseur Anselm Weber und Bühnenbildner Raimund Bauer haben dafür eine Szenerie entwickelt, die sowohl die klaustrophobische Situation der Szene wie die Beteiligung des Voyeurs/Zuschauers dokumentiert: Das Publikum sitzt am oberen Kulissenrand aller vier Seiten und sieht durch die fehlende Decke hinunter auf das Unfaßbare, gleichzeitig hat der Betrachter sich als Betrachter im Gegenüber immer im Blick.

Zerbombt, so der deutsche Titel, ist der erste Teil einer Kriegs-Trilogie und wird gespielt von Inka Friedrich, Markus Boysen und Robert Gallinowski.

Till Briegleb

Premiere: Do, 26. September, 20 Uhr, Malersaal