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Sonnenwarme Naivität

■ Die Deichtorhallen zeigen Joan Mirós überwiegend auf Mallorca entstandenes Spätwerk von 1945-1983 mit der Konzentration auf seine Skulpturen und Zeichnungen

Bei allem Respekt vor künstlerischer Autonomie und dem Recht des Intellektuellen auf ein avantgardistisches Reservat stimmt es den Betrachter schon etwas merkwürdig, daß ein Künstler, der in einer Militärdiktatur lebt, keinen Deut von seinem Weg fröhlicher, unbeschwerter Naivität abweicht. Im Fall von Joan Miró, der im Franco-Regime isoliert, aber unbehelligt auf Mallorca wirkte, kann man dies aus seiner überaus menschlichen Angst vor Krieg vielleicht verstehen – schon 1936 floh Miró vor dem spanischen Bürgerkrieg nach Paris, von wo er nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen zurück ins faschistische, aber kriegsfreie Spanien kehrte. Die kindliche Unbeschwertheit, mit der er 1966 ein schnuckeliges Kinderflugzeug in Bronze gießt, wirkt vor diesem Hintergrund dann aber schon etwas grotesk.

Auch wenn man die innere Fluchtbewegung von Künstlern in paradiesische Enklaven akzeptiert, sind die starke Farblichkeit und die konsequent heiteren Linien, die putzigen Glupschaugen und possierlichen Tierchen und Muttergottheiten, wie sie das jetzt in den Deichtorhallen ausgestellte Spätwerk Mirós zeigt, schon zum gehörigen Teil eine Frage an die Geschmacksnerven. Man kann es schwerlich jemandem verübeln, der – gerade vor dem Hintergrund eines Kandinsky, eines Klee, eines Pollock oder eines Arp – von Miró nur als dekorativem Kitsch spricht. Denn die Verbindung von kindlicher Gestaltauffassung, penetrant sexuellen Anspielungen und sonniger Naivität, die sein plastisches wie zeichnerisches Schaffen – die beide den Kern der Ausstellung bilden – ausmachen, erklären vielleicht seine enorme Popularität im weiten Erdenkreis. Warum die ungebrochene Harmlosigkeit trotz ihres unleugbaren Formenreichtums aber große Kunst sein soll, zeigt sich höchstens in wenigen, marginalen Beispielen, wo die Dynamik seiner Bildspuren etwas an Aggressivität und Mut gewinnen.

Dort arbeiten dann ausnahmsweise einmal zentrifugale Kräfte an der harmonischen Aufgehobenheit seiner Linien, die oft comic-hafte Schmeichelei an das Narrative und das herzliche Symbol verliert ihre populistische Gravitation und das Niedliche bekommt plötzlich bedrohliche Kratzspuren. Aber das sind wohlgemerkt Ausnahmen. Im Hauptteil seines Schaffens schlägt das Runde, das Appetitliche, das Liebzuhabende den Essensgong.

Was Mirós Werk in seiner künstlerischen Vollendung vermissen läßt ist der Bruch, der Zorn, die zweite Seite von Persönlichkeit. Gerade mal etwas Spott gönnte sich der Spanier – wenn man die hüpfenden Penisse mit Gesicht auf seinen Zeichnungen aus den Fünfzigern so deuten mag. Aber auch hier zeigen wieder putzige Tierlein oder romantische Monde, daß Mirós puppenhafte Welt den Einbruch von Wirklichkeit, Verletzlichkeit und Kampf nur in der Dramatik des freundlichen Märchenerzählers erlaubt. Das macht ihn so wertvoll für all jene, die in der Kunst nur das Schöne sehen wollen – und dafür dann auch große kunsthistorische Kaliber auffahren –, und alle Postergalerien von Tokio bis Schwabing. Um aber etwas anderes in seinem Werk zu finden als die Verschönung von Fluchtgedanken, braucht man viel Geduld und Sympathie.

Till Briegleb

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