Den Klang entfusseln

■ Vom Landwirt zum Feinmechaniker: Die Karriere eines Orgelbauers

Kopfarbeit bringt Kapital. Das hat Andrew Plumridge früh gelernt. Er hat Landwirtschaft studiert und danach sieben Jahre lang mit Öl und Getreide gehandelt und dabei „mit dem Kopf ziemlich viel verdient.“ Doch „Geld macht nicht glücklich“, sagt er. Jetzt traut er lieber seinen Händen und Ohren. Andrew Plumridge ist Orgelbauer bei der Hamburger Orgelbaufirma Rudolf von Beckerath.

Mit neun Jahren bekam Plumridge seinen ersten Orgelunterricht, als 13jähriger gab er bereits sein erstes Konzert. Da die Schule ihm nicht genügend Zeit zum Üben ließ, hörte er zunächst auf zu spielen, auch während des Studiums. „Ich habe neben Landwirtschaft auch noch Sport studiert“, sagt er mit einem feinen englischen Akzent. Und vom Rudern und der Arbeit „auf dem Land“ habe er ganz schwere, ungelenkige Finger bekommen. „Doch ohne Geläufigkeit und Gefühl kann man Orgelspielen vergessen.“

Als ihm nach langen Wanderjahren ein befreundeter Cembalobauer aus England anbot, als Gehilfe bei ihm zu arbeiten, kehrte er zum Instrument zurück – diesmal allerdings als Hersteller. Seinem feinen Gehör verdankte der 34jährige auch seine folgenden Anstellungen. Nach einigen Jahren bei einer englischen Orgelbaufirma fing er in Hamburg bei Rudolf von Beckerath an.

Je nach Person und handwerklichem Vermögen sind die Aufgaben in der Firma verteilt. Denn selbst ein Orgelbauer, der gleichzeitig Restaurateur, Schreiner, Intonateur und Elektriker sein muß, darf ein Spezialgebiet haben. „Sehr wenige können alles sehr gut“, sagt Plumridge. Wenn eine Orgel neu gebaut wird, müßten deshalb auch immer verschiedene Spezialisten dabei sein. Ein Kräftiger sorgt für das heben und stemmen von schweren Pfeifen und Holz für die Verkleidung. Ein guter Elektriker verbindet die Register mit dem Spieltisch und sorgt dafür, daß Luft die Pfeifen zum Klingen bringt. Der Meister schließlich intoniert die Orgel.

„Wenn etwas nicht funkioniert, kann man das Problem oft nicht genau orten“, sagt Plumridge. Einer sagt, es sei ein mechanischer Fehler, der andere denkt an einen elektrischen Defekt. „Und beides ist richtig.“ In solchen Fällen könne nur der Meister helfen. Nicht umsonst heiße er so: Der „Orgelbaumeister“ muß alles wissen.

„Meine Aufgabe ist etwas, was ein Lehrling als letztes lernt, weil es sehr schwierig ist“, sagt Plumridge und wickelt behutsam seine Werkzeuge aus den Stoffrollen, breitet sie auf der massiven Werkbank aus. Dann holt er eine ungefähr 70 Zentimeter lange Metallpfeife aus dem Schrank. „Das Loch am Fuß der Pfeife ist grob ausgeschnitten“, erklärt er und bläst hinein: „Das klingt fuselig.“ Konzentriert betrachtet er es, wählt ein spitzes der vielen Messer und kerbt das Fußloch aus. Millimeterarbeit.

Ebenso vorsichtig schneidet er den Spalt aus, der jede Orgelpfeife an ihrer Vorderseite ziert. Die Stelle, an der der Luftstrom gebrochen werde, sei für den Klang besonders entscheidend. „Unebenheiten hört man sofort.“ Wenn die Klangfarbe abgestimmt ist, muß Plumridge die Pfeifen noch stimmen. Dazu bedient er am oberen Rand der Pfeife einen herausgeschnittenen Streifen Metall: die Stimmrolle. „Durch Hoch- und Runterrollen stimme ich genau auf die richtige Tonhöhe.“

Wenn die Kirche ihm nicht einen Strich durch die Rechnung macht. Was Betenden in dunklen Kirchen wie ein Lichtblick scheint, kann die Stimmung einer Orgel in unverhoffte Tiefen stürzen. Ein Sonnenstrahl nämlich, der auf eine Pfeife brennt, kann die Tonhöhe merklich verändern.

Katrin Seibold