... und dann ist wieder Krieg

taz-Portrait-Serie über bosnische Flüchtlinge in Hamburg – Teil 1: Hadzic (22) ist von der bosnischen Front nach Hamburg geflüchtet und hat bereits die dritte Abschiebeverfügung. Eine Überlebensgeschichte, aufgeschrieben  ■ von Silke Mertins

Hadzic hat keine Alpträume. Er kann gar nicht erst einschlafen. Wenn die Bilder der Erinnerung kommen, ist wieder Krieg. Da sind wieder die serbischen Soldaten; sie nehmen Doboj, seine Heimatstadt, ein, treiben die Menschen zusammen, greifen sich die Moslems heraus, die sie kennen, schlagen auf sie ein, nehmen schließlich alle männlichen Bewohner mit. Auch Hadzic, 17 Jahre alt. In jeder der folgenden Nächte greifen sich die Serben einen moslemischen Gefangenen heraus. Und erschießen ihn. Hadzic hört nur die Schüsse. Auch jetzt noch.

Zehn Tage und zehn Nächte, dann wird Hadzic freigelassen. Weil er noch minderjährig ist. Auch sein Vater darf gehen; er ist alt. Eine ganze Gruppe Davongekommener wird an der Demarkationslinie rausgelassen. Sie stolpern zu Fuß durch den Wald, in denselben Kleidern, die sie schon vor fast zwei Wochen trugen, verstört, hungrig, etwas erleichtert. Hadzic Mutter weint trotzdem. Der andere Sohn kam nicht frei. Ungewißheit, was mit ihm im Lager passieren wird.

Zehn Tage kann Hadzic sich erholen, bevor er von der bosnischen Armee eingezogen wird. Jetzt wird er selbst Soldat. Waffen haben sie so gut wie keine. „Ja, ich habe oft Angst gehabt“, sagt er. Hadzic spricht darüber nicht leise, sondern unbeteiligt. Zuviel Blut, abgebrannte Dörfer und Sterbende, als daß man das Gesehene an sich herankommen lassen könnte. Der junge Wehrpflichtige war an der Front eines hoffnungslosen Krieges. „Wir wurden ständig angegriffen, waren eingekesselt.“ Die Chance zu überleben wurde immer geringer. Dann ist er abgehauen.

Mit einer von der Armee ausgestellten Erlaubnis, Familienangehörige in Kroatien zu besuchen, begann seine Flucht nach Deutschland. In Hamburg kam er mitten in der Nacht an. Am Eingangstor zum Container-Flüchtlingsdorf Loogestraße in Eppendorf fiel er seiner älteren Schwester in die Armee. „Wir haben uns wahnsinnig gefreut, aber auch geweint“, zeigt Hadzic nun zum ersten Mal Gefühle. „Ich dachte: Endlich bist du frei.“

Eineinhalb Jahre ist das her. Hadzic lebt seitdem im Container, aber ohne Lebensgefahr. Er hat Heimweh, natürlich. Sehnsucht nach früher vor allem, als man in der Schule noch lernte, daß alle Jugoslawen „Brüder seien“. Was seine Oma meinte, wenn sie sagte, er solle aufpassen, wen er heiratet, begriff er damals gar nicht. Heute schon.

Hadzic ist Moslem, „traditionell religös“, sagt er, also nicht sehr. „Getrunken haben wir alle.“ Geglaubt auch, irgendwie, wenn auch nicht gebetet und gefastet. Heute glaubt Hadzic an nichts mehr, auch nicht an die Zukunft. „Keine Hoffnung“, sagt er. „Der Krieg hat mein Leben kaputtgemacht.“ Dabei hat Hadzic noch gar nicht gelebt. „Ich möchte gerne zurück, ich weiß nur nicht wie und wohin.“ Seine Familie ist in alle Winde verstreut. Seine Eltern sind selbst Flüchtlinge, teilen mit dem Bruder, Überlebender eines serbischen Lagers, ein Zimmer. Aber zuhause lauern nicht nur ein kalter Frieden und die Erinnerung, sondern auch die Armee, von der er sich unerlaubt entfernt hat. „Das wird Probleme geben“, weiß der jetzt 22jährige.

Ein Grund für die Hamburger Ausländerbehörde, ihn vorerst hier bleiben zu lassen, bis geklärt ist, was mit Flüchtlingen wie ihm passieren wird, ist das nicht. Die dritte Abschiebungsverfügung wurde ihm bereits zugestellt.

Morgen Teil 2: „Wo war eigentlich Gott im Krieg?“, Andrijana (19) aus Tuzla