Bosnien-Flüchtlinge: Wie Hamburg abschieben wird

Hamburgs Innensenator Harthmuth Wrocklage (SPD) stöhnt leise und ungeduldig, wenn Hamburger Flüchtlingsorganisationen oder die Grünen ihm Vorwürfe wegen seiner Bosnienpolitik machen. Denn er kann es eigentlich nicht mehr hören, und er hat es auch schon hundert Mal erklärt: Die „Rückführung“ ist nur zum Besten der BosnierInnen und findet nach allen Regeln der Menschlichkeit statt.

Schließlich ist er, Wrocklage, bekennender Humanist und hat sich zudem mehrere Tage lang vor Ort in Bosnien umgesehen. Die Bürgerkriegsflüchtlinge sind „Gäste auf Zeit“, betont Wrocklage unermüdlich. Sie müssen zurück und ab heute kann es losgehen.

Nach den Beschlüssen der Innenministerkonferenz vor zwei Wochen endet mit dem 1. Oktober die Schonfrist. Die erste Stufe der „Rückführung“ tritt in Kraft: Alleinstehende und Ehepaare ohne minderjährige Kinder sind davon als erste betroffen. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) möchte zwar, daß sofort und überall in deutschen Landen abgeschoben wird. Aber die MinisterInnen einigten sich darauf, daß die Länder selbst entscheiden können, wie sie den Stufenplan umsetzen. In den Wintermonaten, zwischen dem 1. Dezember und Ende Februar, wird ohnehin nicht abgeschoben. Viele SPD-regierte Länder, wie etwa Schleswig-Holstein, setzen deshalb die Abschiebung bis zum kommenden Frühjahr aus. Nicht so Hamburg.

Zwar hat der SPD-Landesvorstand im vergangenen Mai den Beschluß gefaßt, „wonach eine zwangsweise Rückkehr nicht erfolgen darf, solange eine verantwortbare menschenwürdige Existenz der Rückkehrer nicht gewährleistet werden kann“.

Aber der SPD-Innensenator Wrocklage will „ein Signal“ und sich über die Parteibeschlüsse hinweg setzen. Flüchtlingsberatungsstellen und Rechtsanwälte wissen zu berichten, daß viele BosnierInnen bereits die zweite oder gar dritte Abschiebeverfügung bekommen haben.

Darunter ist zum Beispiel eine 80jährige Bosnierin, die zurücckehren soll, weil sie von der Sozialhilfe lebt. Darunter sind Azubis, schwangere Frauen, Deserteure. Darunter sind auch Traumatisierte, die nicht in Behandlung sind oder es bis zum 26. Januar 96 noch nicht waren. Zum Beispiel weil es in Hamburg kaum muttersprachliche Therapeuten gibt. Und weil es vor dem Gang zum Psychologen eine hohe soziale Barriere („Ich bin doch nicht verrückt“) zu überwinden gilt.

In jedem einzelnen Abschiebefall muß mühsam der Klageweg beschritten werden. Ihren bisherigen Status verlieren die von der ersten Stufe betroffenen Flüchtlinge auf jeden Fall. Das bedeutet: Selbst wenn die meisten erst im nächsten Jahr tatsächlich abgeschoben werden, können sie schon jetzt nicht mehr arbeiten, eine Ausbildung beginnen oder beenden. Die Zeit bleibt ungenutzt, dringend benötigtes Geld, das sie zu Familienangehörigen nach Hause schicken könnten, kann nicht mehr verdient werden; rund 65 Prozent der hier lebenden Bosnier arbeiten (noch).

Ausnahmen sind in dem Weisungskatalog der Hamburger Innenbehörde nicht vorgesehen: Zerstörung des Heimatortes, Einberufung zum Militärdienst, binationale Ehe, ethnische Gründe oder keine Unterkunft und kein Einkommen zu haben, werden ausdrücklich nicht als Grund für eine verlängerte Duldung anerkannt. Behördliche Begründung: Die genannten Gründe treffen die Hamburger Abschieblinge „nicht erheblich härter als ihre Landsleute in vergleichbarer Lage“.

Silke Mertins